Der Sohn der Halblinge: Roman (German Edition)
wenn sie die Aufmerksamkeit des Baum-Meisters erringen wollen!
Als Gomlo nicht gleich auftauchte, sagte Borro mit lauter Stimme: » Und die Baumschafe auf dem Herdenbaum sind jetzt, fürchte ich, allein! Ich hoffe nur, dass sie nicht ins äußere Geäst wandern und in den Tod stürzen. Aber dann würde es wenigstens demnächst öfter Fleisch geben, was, Neldo?« Er zwinkerte dem anderen Halbling zu.
Dieser fand Borros Verhalten jedoch ziemlich unpassend und bedachte ihn mit einem missbilligenden Blick. Einem Baum-Meister, so schien seine Meinung, war mehr Respekt entgegenzubringen.
Brongelle hingegen tat diesmal so, als hätte sie Borros Bemerkung gar nicht vernommen.
Knarrend wurde die dicke Holztür geöffnet, die zu Gomlos Anbau führte. Der Baum-Meister war ein etwas rundlicher Halbling mit grauem Haar und einem strubbeligen Bart. Seine spitzen Ohren lagen eng am Kopf. Oft hatte Gomlo seinem Ziehsohn Arvan davon erzählt, welche Schwierigkeiten ihm das in seiner Jugend eingebracht hatte, denn Ohren, die nicht genügend abstanden, galten unter Halblingen als Makel. Man argwöhnte, dass jemand deswegen schlecht hören könnte, und außerdem widersprach es dem Empfinden des Halbling-Volkes für die Harmonie des Wuchses, wenn Ohren nicht groß oder abstehend genug waren, um durch das Haar hervorzustechen. Oft genug war Gomlo deswegen früher verspottet worden. » Aber siehst du, Arvan – aus mir ist trotzdem etwas geworden«, so klangen Gomlos Worte immer wieder in Arvans Gedanken nach, wenn ihm mal wieder ein Unglück widerfahren war. » Niemand hätte je für möglich gehalten, dass jemand wie ich zum Baum-Meister und später sogar zum Meister des Stammes gewählt werden würde. Wer mag also schon wissen, was aus dir noch alles werden kann.«
Wahrscheinlich nur ein Krüppel, wenn ich mir weiterhin so oft die Knochen breche!, hatte Arvan damals gedacht.
» Nun, du gehst immerhin noch aufrecht, mein Sohn«, sagte Gomlo. » Das beruhigt mich ein wenig.« Gomlo hatte nie einen Unterschied zwischen seinen älteren, leiblichen Kindern und Arvan gemacht, von dem er stets als » seinem Sohn« sprach, obwohl eigentlich jeder auf den ersten Blick erkennen konnte, dass Gomlo nicht der leibliche Vater des Jungen sein konnte.
» Du solltest jemanden losschicken, der sich um die Baumschafe kümmert«, schlug Arvan vor.
» Die Baumschafe sind nicht so wichtig«, entgegnete Gomlo. » Wichtiger ist, was mit dir geschehen ist. Nachher kann einer der anderen Hirten auf dem Herdenbaum nach dem Rechten sehen.«
» Solange sich möglicherweise Orks in der Gegend aufhalten, sollte sich niemand allein dorthin begeben«, warnte Brongelle.
Gomlo rieb sich mit nachdenklicher Miene die Nasenwurzel und nickte dann bedächtig. » Ja, du hast recht, Frau«, sagte er und seufzte laut und vernehmlich. » Wir hatten für längere Zeit keinen Ärger mehr mit den Orks. Aber es könnte sein, dass es mit der Ruhe nun vorbei ist.«
Arvan wusste genau, was sein Ziehvater meinte. Wenn sich die Orkeinfälle in den Wäldern von Harabans Reich häuften, bedeutete dies auch, dass der Waldkönig größere Truppenverbände in diesen Teil des Landes entsenden würde. Und das wiederum hieß, dass man neben den Orküberfällen auch noch mit häufigeren Übergriffen der Söldner rechnen musste.
Es standen schwere Zeiten bevor, und sie spiegelten sich bereits in Gomlos sorgenvoller Miene wider.
Zalea traf zusammen mit ihrem Vater Orry dem Ruhigen ein. Orry war ein Halbling mit mondförmigem Gesicht und grünlich schimmernden Augen, die er seiner Tochter vererbt hatte und deren Färbung an das Wasser des Langen Sees erinnerte. An einem Riemen trug er stets eine im Vergleich zu seinem zierlichen Halblingskörper ziemlich große Tasche, in der er die Utensilien mitführte, die ein Heiler so brauchte, darunter natürlich vor allem verschiedene Heilkräuter und Tinkturen.
» Meine Tochter hat mir bereits berichtet, was geschehen ist«, sagte Orry zu Arvan, » und bei jedem anderen würde ich mich darüber wundern, dass er noch auf seinen eigenen Füßen vor mir steht. Bei dir allerdings…«
» Er ist aber nicht unsterblich, Vater«, gab Zalea zu bedenken.
» Das nicht, aber…«
» Und er überschätzt stets seine Kräfte. Deshalb solltest du ihn dir so schnell wie möglich ansehen«, drängte seine Tochter. » Ich habe getan, was mir möglich war, aber du weißt selbst, wie weit der Weg zur Heiler-Prüfung bei mir noch ist.«
» Leg dich irgendwohin,
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