Der Sohn der Halblinge: Roman (German Edition)
Schicksal. Dass sie bei ihm stets gut verheilten, war ein Geschenk der Waldgötter, aber deren Großzügigkeit durfte man nicht überstrapazieren, indem man auf einen Heiler verzichtete.
Zaleas Eltern waren Orry der Ruhige und Xorelle die Schnaufende. Sie hatten sich während der Vorbereitung zur Heiler-Prüfung auf dem Gemeinschaftsbaum kennengelernt. Xorelle gehörte nämlich eigentlich dem Stamm von Boggo dem Elbenversteher an, dem am weitesten entfernt siedelnden Halbling-Stamm in Harabans Reich. Dieser lebte in der Dichtwaldmark, und abgesehen von ein paar gemeinsamen Festen und den regelmäßig stattfindenden Heiler-Prüfungen, zu denen die Angehörigen von Boggos Stamm zum Gemeinschaftsbaum am Langen See anreisten, waren die Verbindungen eher spärlich.
Wahrscheinlich wären sie sogar ganz abgerissen, hätte es diese festen Traditionen nicht gegeben, denn die Halblinge der Dichtwaldmark galten als noch weniger reisefreudig als die des Halblingwalds am Langen See. Am besten, so lautete eine alte Weisheit vom Stammvater Brado dem Flüchter, war es dort, wo der eigene Wohnbaum stand. Hätten die Waldgötter gewollt, dass man in der Welt umherzog, hätten sie schließlich die Wohnbäume mit Beinen statt mit Wurzeln ausgestattet.
Borro klopfte an die Tür von Gomlos Haus. » Euer Sohn wurde schwer verwundet, werter Baum-Meister«, rief der rothaarige Halbling mit einem Grinsen. » Wenn Ihr noch einmal mit ihm sprechen wollt, wäre dies die letzte Gelegenheit!«
» Übertreib nicht«, sagte Arvan.
» Du kennst deinen Ziehvater doch«, entgegnete Borro. » Man muss bei ihm stets übertreiben, wenn man mit ihm sprechen will, weil er ja immer mit so ungemein wichtigen Dingen beschäftigt ist wie dem Erstellen irgendwelcher Listen. Erst als mein Vater neulich rief, die nordwestliche Abzweigung des Ostzweigs drohe zu brechen und auf Gomlos Haus zu fallen, kam er aus dem Arbeitszimmer, um sich endlich um den Streit mit unseren Nachbarn zu kümmern.«
Neldo sagte nichts, grinste aber still vor sich hin.
Die Tür wurde geöffnet, und eine stämmige Halblingfrau stand vor ihnen. Sie war siebzig oder achtzig, was man bei Halblingen als mittlere Jahre bezeichnete, und erheblich jünger als ihr Mann, der gerade die hundertelf erreicht hatte, was nach Überzeugung der Halblinge vom Langen See für den Betreffenden entweder großes Glück, großes Unglück oder große Veränderung bedeutete. Gomlo hatte diesen Geburtstag deswegen nicht gefeiert.
» Ich habe gehört, was Borro der Vorlaute gerade gerufen hat«, erklärte Brongelle, die für ihre resolute Art bekannt war. » Und ich werde meinem Mann berichten, wie dein Vater seine Aufmerksamkeit zu erringen pflegt.«
» D-da-das habt Ihr missverstanden, Brongelle«, stotterte Borro. » A-abgesehen davon– Euer Sohn ist wirklich schwer verletzt!«
Brongelle bedachte Arvan mit einem mitleidigen Blick. » Mein armer Menschling, was ist diesmal geschehen?«, fragte sie, wobei ihr Tonfall jegliche Härte verlor. Brongelle und Gomlo hatten in jungen Jahren Kinder gehabt, die längst erwachsen und zu angesehenen Mitgliedern des Stammes geworden waren. Arvan war ihr in einem Alter geschenkt worden, in dem auch Halblingfrauen normalerweise keine Kinder mehr bekamen, und daher hatte sie ihn mit besonderer Liebe und Fürsorge aufgezogen. Nur dadurch, so war man überall auf Gomlos Baum überzeugt, war es überhaupt möglich gewesen, dass ein so plumpes, ungeschicktes Menschenkind in dieser Umgebung hatte überleben können.
Arvan kam überhaupt nicht dazu, von den Geschehnissen am Herdenbaum zu berichten. Borro hatte wie stets das schnellere Mundwerk. Munter sprudelten ihm die Worte über die Lippen. Von Kämpfen mit Haraban-Söldnern, die Baumschafe geschossen hatten, und einem Menschlingshelden, der Orks besiegte, war die Rede, und an Brongelles Stirnrunzeln, das sich mehr und mehr vertiefte, war zu erkennen, dass sie immer skeptischer wurde.
» Also letztendlich ist er in den Dolch eines erschlagenen Haraban-Söldners gefallen«, ergriff schließlich Neldo das Wort und beendete damit Borros Wortfluss.
» Ist aber halb so schlimm«, meinte Arvan.
» Na ja, immerhin stehst du ja noch auf eigenen Beinen«, seufzte Brongelle.
Arvan wurde ins Haus geführt und musste auf der groben Bank in der Nähe des Kamins Platz nehmen.
Brongelle rief nach ihrem Mann: » Dein Sohn ist halb tot!«
Borro grinste, so als wollte er sagen: Sie macht es genauso wie mein Vater und alle anderen,
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