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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Begierde drohte ihn zu überwältigen, aber es gelang ihm, sich ihr höflich zu nähern, und er stellte sich ihr vor.
    Das Mädchen Caer Ibormeith trug einen Silberreif um den Hals, und nun sah er, dass eine Kette sie mit einem anderen Mädchen verband und wieder mit einem anderen, und um den See gingen dreimal fünfzig junge Frauen, die miteinander durch Silberketten verbunden waren. Als Aengus Caer bat, die seine zu werden, als er von seiner Sehnsucht nach ihr sprach, glitt sie so lautlos davon, wie sie erschienen war, und die anderen mit ihr. Von allen war sie die Größte und die Schönste gewesen. Sie war tatsächlich die Frau seines Herzens.«
    Der Erzähler hielt inne, aber er warf nicht einen einzigen Blick in Niamhs Richtung, dorthin, wo sie wie eine schöne Statue saß, die blauen Augen voller Staunen. Ich hatte sie nie so lange so stillsitzen sehen.
    »Danach ging der Dagda zu Caers Vater nach Connacht und verlangte, die Wahrheit zu hören. Wie konnte sein Sohn Aengus diese Frau für sich gewinnen, da er ohne sie zweifellos nicht leben konnte? Wie warb man um ein solch seltsames Geschöpf? Eathal wollte ihm nicht helfen, aber schließlich gab er unter einigem Druck nach. Die schöne Caer, sagte ihr Vater, hatte sich dafür entschieden, jedes zweite Jahr als Schwan zu verbringen. An Samhain würde sie ihre Vogelgestalt wieder annehmen, und an dem Tag, an dem sie sich veränderte, musste Aengus sie zu sich nehmen, denn um diese Zeit war sie am verwundbarsten. Aber er musste auch darauf vorbereitet sein, warnte Eathal, einen Preis dafür zu zahlen.
    Es geschah, wie Eathal gesagt hatte. Am Samhainabend kehrte Aengus zurück zum Drachenmaul, und dort am Strand befanden sich dreimal fünfzig wunderschöne Schwäne, jeder mit einem Kragen aus gehämmertem Silber. Dreimal fünfzig und einer, denn er wusste, dass der Schwan mit dem stolzesten Gefieder und dem längsten, anmutigsten Hals seine reizende Caer Ibormeith war. Aengus ging zu ihr und fiel vor ihr auf die Knie, und sie legte ihren Hals an seine Schulter und spreizte die Flügel. In diesem Augenblick spürte er, wie er sich selbst veränderte. Ein Beben ging durch seinen Körper, von den Zehenspitzen bis zum Haar auf seinem Kopf, vom kleinsten Finger bis zu seinem heftig klopfenden Herzen, und dann sah er, wie seine Haut sich veränderte und schimmerte und auf seinen Armen schneeweißes Gefieder wuchs, und sein Blick wurde klarer und reichte weiter als je zuvor, und er wusste, dass auch er zum Schwan geworden war.
    Sie flogen dreimal um den See und sangen ihre Freude heraus, und so schön war ihr Lied, dass es noch Meilen entfernt vom See alle in friedlichen Schlaf versetzte. Danach kehrte Caer Ibormeith mit Aengus nach Hause zurück, und die Geschichte berichtet nicht, ob sie das in Gestalt von Mann und Frau oder als zwei Schwäne taten. Aber es heißt, wenn man am Samhainabend zum Loch Béal Dragan geht und in der Abenddämmerung sehr still am Ufer stehen bleibt, kann man ihre Stimmen hören, draußen im Dunkeln über dem See. Und wenn man dieses Lied einmal gehört hat, wird man es nie mehr vergessen, nicht solange man lebt.«
    Das Schweigen, das folgte, war ein Zeichen der Hochachtung, die man nur den besten Geschichtenerzählern zuteil werden ließ. Er hatte diese Geschichte tatsächlich mit großer Kunstfertigkeit erzählt, beinahe so gut, wie jemand aus unserer eigenen Familie es getan hätte. Ich sah Niamh nicht an; ich hoffte, dass ihre roten Wangen niemandem auffallen würden. Am Ende war es meine Mutter, die sprach.
    »Tretet vor, junger Mann«, sagte sie leise, und sie stand auf, aber ihre Hand lag immer noch in der meines Vaters. Der junge Druide kam auf sie zu, ein wenig bleicher als zuvor. Vielleicht war dies trotz all seines offensichtlichen Selbstvertrauens schwierig für ihn gewesen. Immerhin war er noch jung, kaum zwanzig, hätte ich angenommen.
    »Ihr habt Eure Geschichte mit Geist und Fantasie erzählt. Ich danke Euch, dass Ihr uns heute Abend so gut unterhalten habt.« Sie lächelte ihn freundlich an, aber ich bemerkte, wie sie hinter ihrem Rücken Iubdans Finger so fest hielt, als müsste sie sich stützen.
    Der junge Mann neigte kurz den Kopf. »Ich danke Euch, Herrin. Solches Lob von einer Geschichtenerzählerin von Eurem Ruf weiß ich wirklich zu schätzen. Ich verdanke, was ich kann, dem besten Lehrer.« Er warf einen Blick zu Conor.
    »Wie heißt Ihr, Sohn?« Das war Liam, der auf der gegenüberliegenden Seite des Raums bei

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