Der Sohn der Schatten
Magenkrankheiten beheben, aber sie ist sehr stark. Benutze sie nur einmal bei einem Patienten, oder du wirst mehr Schaden anrichten als Gutes tun. Und jetzt leg dieses dünne Tuch über deine Schale, und stelle sie vorsichtig weg. Genau so. Lass es einundzwanzig Nächte ruhen, und dann rühre es, gieße es ab und bewahre es fest verkorkt im Dunkeln auf. Eine solche Tinktur hält sich viele Monde lang. Dies hier wird für den ganzen Winter genügen.«
»Warum setzt du dich nicht eine Weile hin, Mutter?« Das Wasser über dem kleinen Feuer kochte; ich nahm zwei Steingutbecher und öffnete Tiegel mit getrockneten Blättern.
»Du verwöhnst mich, Liadan«, sagte sie lächelnd, aber sie setzte sich tatsächlich hin – eine zierliche Gestalt in ihrem alten Arbeitskleid. Die Sonne fiel hinter ihr durchs Fenster und zeigte mir, wie bleich sie war. In dem intensiven Licht konnte man die Spuren ausgeblichener Stickerei am Halsausschnitt und Saum ihres Kleides erkennen. Es waren Efeublätter, winzige Blüten, hier und da ein kleines geflügeltes Insekt. Ich goss vorsichtig das heiße Wasser in die Becher.
»Ist das eine neue Mischung?«
»Ja«, antwortete ich und begann, die Messer und Schalen und anderen Dinge, die wir benutzt hatten, zu säubern und wegzuräumen. »Sieh mal, ob du mir sagen kannst, was sich darin befindet.« Der Geruch des Kräutertranks breitete sich in der kühlen, trockenen Luft unseres Arbeitsraumes aus.
Mutter schnupperte vorsichtig. »Es ist Baldrian – die getrockneten Blüten müssten es sein; dann Braunholz, vielleicht ein Hauch Johanniskraut und … Mistel?«
Ich fand einen Tiegel mit unserem besten Honig und löffelte ein wenig davon in jeden Becher. »Du kennst dich zweifellos immer noch aus«, sagte ich. »Du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Ich weiß, wie man dieses Kraut sammelt und wie man es benutzt.«
»Eine machtvolle Mischung, Tochter.«
Ich warf ihr einen Blick zu, und sie erwiderte ihn direkt.
»Du weißt es, nicht wahr?«, sagte sie leise.
Ich nickte, nicht in der Lage zu sprechen. Ich stellte einen Becher des Heiltees auf das Steinsims neben sie und meinen eigenen auf meinen Arbeitsplatz.
»Deine Auswahl von Kräutern ist sehr kundig. Aber es ist zu spät, als dass es mir mehr als kurze Erholung bringen könnte. Auch das weißt du.« Sie trank einen Schluck des Tees, verzog das Gesicht und lächelte ein wenig. »Ein bitteres Gebräu.«
»Wahrhaftig«, sagte ich und nippte meinen eigenen Tee, der einfach aus Pfefferminzblättern bestand. Es gelang mir gerade so eben, meine Stimme zu beherrschen.
»Ich sehe, dass wir dich gut unterrichtet haben, Liadan«, sagte meine Mutter und betrachtete mich forschend. »Du hast meine Fähigkeiten beim Heilen und die Gabe deines Vaters zu lieben. Er sammelt alle in seinem schützenden Schatten, wie ein großer Baum im Wald. Ich sehe dieselbe Kraft in dir, Tochter.«
Diesmal wagte ich nicht weiterzusprechen.
»Es wird schwer für ihn sein«, sagte sie, »sehr schwer. Er ist nicht wirklich einer von uns, obwohl wir das manchmal vergessen. Er versteht nicht, dass es kein wahrer Abschied ist, sondern nur ein Weitergehen, eine Veränderung.«
»Das Rad dreht sich und dreht sich«, sagte ich.
Wieder lächelte Mutter. Sie hatte den Tee beinahe unberührt abgestellt. »Du hast auch etwas von Conor«, sagte sie. »Setz dich noch eine Weile hin, Liadan. Ich muss dir etwas sagen.«
»Du auch?« Nur mit Mühe konnte ich mich zu einem dünnen Lächeln zwingen.
»Ja. Dein Vater hat mir von Eamonn erzählt.«
»Und was hältst du davon?«
Sie runzelte ein wenig die Stirn. »Ich weiß nicht«, sagte sie bedächtig. »Ich kann dir nicht raten. Aber … aber ich würde sagen, eile dich nicht zu sehr. Du wirst hier noch eine Weile gebraucht.«
Ich fragte sie nicht warum. »Hast du mit Vater gesprochen?«, fragte ich schließlich.
Mutter seufzte. »Nein. Er wird mich nicht fragen, denn er weiß, dass ich ihm die Wahrheit sagen werde. Ich brauche keine Worte dazu. Nicht für den Roten. Sein Wissen vermittelt sich in einer Berührung seiner Hand, darin, wie er sich beeilt, vom Pflügen nach Hause zu kommen, wie er am Bett sitzt, wenn er glaubt, dass ich schlafe, und meine Hand hält und ins Dunkel schaut. Er weiß es.«
Ich schauderte. »Was wolltest du mir sagen?«
»Etwas, das ich noch nie jemandem mitgeteilt habe. Aber nun glaube ich, ist es an der Zeit, es weiterzugeben. Du bist die letzte Zeit unruhig gewesen, das habe ich an
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