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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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dass du da bist. Sie hat nach dir gefragt.
    Ich weiß. Und ich bin gekommen. Aber ich denke, ich brauche deine Hilfe.
    Ich spürte seine Angst, und ich wusste, dass es viel Mut gebraucht hatte, bis hierher zu kommen.
    Ich werde dich ins Haus bringen. Was brauchst du?
    Ich habe Angst  … berührt zu werden. Ich habe Angst  … vor dem Eingeschlossensein. Und es sind Hunde da. Wenn du mir damit helfen kannst, kann ich bleiben, und lange genug. Bis morgen zur Abenddämmerung.
    »Dein Vertrauen ehrt mich«, sagte ich laut. »Das kann nicht einfach für dich sein.«
    Meine Schwäche beschämt mich. Der Fluch, den die Zauberin mir auferlegt hat, hält lange an. Es gibt auch einen gewissen Ausgleich dafür. Aber ich möchte meiner Schwester und meinen Brüdern meine Schwächen nicht zeigen. Es ist kein Mitgefühl, das ich suche, nur Hilfe, damit ich für sie stark genug sein kann.
    »Du bist sehr stark«, sagte ich leise. »Ein anderer hätte nicht so lange überlebt. Hätte es nicht ertragen können.«
    Auch du bist stark. Warum fragst du mich nicht, was du wissen möchtest?
    Weil es … eigensüchtig ist.
    Wir sind alle eigensüchtig. Es liegt in unserem Wesen. Aber du bist großzügig und gibst viel, Liadan. Du sorgst dafür, dass jene, die du liebst, in Sicherheit sind. Du gibst dafür alles, was du kannst. Später werde ich dir zeigen, was du so gerne sehen willst. Und nun müssen wir hineingehen.
    »Onkel«, sagte ich laut und recht vorsichtig.
    Was ist?
    »Wieso erzählst du mir von deiner Angst, wenn du sie sogar vor deinen Brüdern verbirgst?«
    Niemand möchte schwach sein. Aber meine Schwäche ist auch meine Gabe. Was in einer Welt vollkommen gewöhnlich ist, mag in einer anderen eine Quelle des Schreckens sein. Eine verschlossene Tür, das Bellen eines Hundes. Und dennoch, was an diesem Ort ein Geheimnis ist, wird an jenem anderen klar und schlicht. Es ist Abbild und Abbild, Wirklichkeit und Vision. Welt und Anderwelt. Ich zeige dir meine Angst, weil du sie verstehen kannst. Du verstehst es, weil du die Gabe hast. Du bist nicht belastet wie ich, aber dein Geist erkennt den Schmerz und die Kraft, die solches Wissen bringt. Du kennst die Macht der Alten und weißt, wie sie immer noch in uns arbeitet.
    »Diese Gabe … der Blick, der heilende Geist … sie kommt von ihnen, unseren ersten Ahnen? Sie kommt von der Fomhóire-Frau Eithne?« Ich wusste in dem Augenblick, als ich es aussprach, dass es der Wahrheit entsprach.
    Sie ist sehr alt. Sehr tief. So tief wie ein bodenloser Brunnen, so tief wie die tiefsten Stellen des Ozeans. Und wie sie, ist auch diese Kraft beständig.
    Ich schauderte.
    »Komm«, sagte Finbar und prüfte damit seine Stimme, die eindeutig selten benutzt wurde. »Seien wir mutig und zeigen wir uns.« Und wir gingen über das Feld auf das Haus zu.
    Es gab einen unangenehmen Augenblick, als die Leute aus Küche und Stall herauskamen, um zu starren, und ein Hund bellte und sich mir der Geist meines Onkels lautlos mitteilte, ein Zustand herzklopfender, geistesbetäubender Angst, ein überwältigender Fluchtinstinkt. Ich sandte einen raschen, lautlosen Ruf aus.
    Conor? Onkel, wir brauchen dich.
    Die Menschen murmelten und flüsterten, als wir näher kamen. Ein Mann hatte seine Hand am Halsband des Hundes, aber das Tier knurrte und schnappte, als wäre ein wildes Tier in Reichweite seines Mauls gekommen. Ich wusste nicht, wie man mit dem Geist einen Hund beruhigt. Finbar neben mir erstarrte.
    »Seht doch! Das ist der Mann mit dem Schwanenflügel!« Die Stimme eines Kindes, klar und unschuldig. »Der Mann aus der Geschichte!«
    »Genau der, und er ist mein Bruder.« Eine ruhige, befehlsgewohnte Stimme erklang aus der Küchentür, und heraus kam mein Onkel Conor und benahm sich ganz, als würde so etwas jeden Tag geschehen. »Macht euch jetzt wieder an die Arbeit. Vor morgen Abend werden noch mehr Besucher kommen; Lord Liam wäre sehr unzufrieden, euch hier herumstehen zu sehen.«
    Die Menge zerstreute sich; der Hund wurde weggeführt und stemmte sich dabei weiter gegen den Griff an seinem Halsband. Der Augenblick war vorüber. In meiner eigenen Brust konnte ich spüren, wie sich Finbars Atem beruhigte, seinen langsamer werdenden Herzschlag. Die nächste Nacht und der folgende Tag würden tatsächlich eine schwere Prüfung für ihn darstellen.
    »Komm«, sagte Conor leise. »Du wirst sie sicher direkt sehen wollen. Ich bringe dich hin.«
    »Ich werde mit Liam sprechen«, sagte ich. »Es müssen

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