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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Stimmen sprachen wie eine, und nachdem sie sich die Zeit genommen hatten, ihr Entsetzen und ihre Trauer auszudrücken und meinem Bruder und mir ihr Beileid zu erklären, machten sich alle sofort wieder an die Arbeit. Die Ernte wurde fortgesetzt, Frauen beschäftigten sich damit, Obst zu trocknen und einzukochen oder Leinen zu lüften, und Fealan ritt direkt wieder weg, mit drei dunkel gekleideten Männern und einem Ersatzpferd.
    ***
    Mein Bruder hatte gut angefangen. Er hatte vor den Leuten des Haushalts mit fester Stimme gesprochen, und seine Haltung war eine glaubwürdige Kopie von Liams eigener Autorität gewesen. Aber später, nachdem sie die Leiche unseres Onkels zurückgebracht und wir ihn für das Begräbnis vorbereitet und umgeben von Kerzen in der Halle zur Ruhe gelegt hatten, war es etwas anderes. Die Leute kamen herein, um an der reglosen Gestalt ihres Herrn vorbeizuschreiten, um noch einmal seine strengen Züge zu sehen, die vom Schlaf des Todes ein wenig weicher geworden waren. Man sah seinem Körper kaum etwas an. Wer immer den Pfeil abgeschossen hatte, hatte sein Handwerk verstanden. Liams Wolfshunde wollten ihren Herrn nicht verlassen; sie lagen einer zu seinen Füßen, einer an seinem Kopf, seltsam reglos, während Männer und Frauen vorbeigingen und murmelten: »Geh in Frieden, Herr«, oder: »Eine sichere Reise, Lord Liam.«
    »Wer hätte das gedacht?«, sagte Janis grimmig, als sie Bier eingoss und sich verstohlen mit dem Handrücken die Wangen wischte. »Erst Sorcha und dann er, kaum eine Jahreszeit später! Es ist einfach nicht richtig. Etwas ist hier nicht richtig. Wann kommt euer Vater nach Hause?«
    Johnny war bei seinem Kindermädchen, und Sean und ich saßen zusammen in dem kleinen Zimmer im ersten Stock, wo Niamh versucht hatte, den Männern der Familie zu trotzen, und keiner auf sie gehört hatte. Sean war sehr still, und als ich ihn ansah, bemerkte ich, dass er endlich, nach seinem langen, selbstbeherrschten Tag, weinte.
    »Es tut mir Leid«, sagte ich, weil es mir an besseren Worten fehlte. »Er war wie ein Vater für dich, das weiß ich. Du hast es heute gut gemacht, Sean.«
    »Du hättest es mir vorher sagen sollen! Du hättest mich warnen müssen, oder ihn. Du hättest es verhindern können, Liadan.« Seine Stimme war heiser vor Kummer, und seine Worte taten mir sehr weh. »Warum hast du dich entschieden, es nicht aufzuhalten? Gibt es hier eine Verschwörung, die ich nicht begreife? Denn jemand hat ihn an die Briten verraten. Jemand hat ihnen gesagt, wo er unterwegs sein würde und wann, und dass er allein wäre.«
    »Hör auf, Sean.« Meine eigene Stimme war alles andere als fest. »Das ist Unsinn, und du weißt es.«
    »Unsinn, ja? Dann sag mir eins. Wer wusste von dem Treffen, zu dem Liam geritten ist, wenn man von unseren Verbündeten und dem Bemalten Mann einmal absah? Er erhielt dieses Wissen aus dem umgekehrten Grund – um dafür zu sorgen, dass Northwoods vom wirklichen Ort und der Absicht dieser Beratung abgelenkt ist. Aber er war natürlich auch in einer idealen Position, um die Information direkt an die Briten weiterzugeben. Wie kann ich jetzt noch davon ausgehen, dass mein Vertrauen zu deinem Freund nicht völlig fehl am Platze war? Dieser Mord zeigt doch sicher, dass er nicht mehr ist als der Betrüger, für den alle ihn halten. Ein Mann, der die Seiten jederzeit wechselt, wenn es ihm passt. Mein eigenes schlechtes Urteilsvermögen hat dazu beigetragen, meinen Onkel zu töten.«
    »Warum sollte Bran so etwas tun?«
    Sean verzog verächtlich den Mund. »Vielleicht zahlt Edwin von Northwoods besser als ich. Eine Information, die den Briten die Gelegenheit gibt, meinen Onkel loszuwerden und gleichzeitig unsere Verhandlungen mit den Uí Néill zu unterbrechen, hätte ihm sicher einen guten Preis eingebracht.«
    »Bran würde so etwas nicht tun, Sean. Er hat deinen Auftrag sicher ausgeführt. Er hat nur voller Hochachtung von dir gesprochen. Ich bin sicher, er hat damit nichts zu tun.«
    »Man kann einem solchen Mann nicht trauen«, sagte Sean verächtlich. »Es war dumm von mir, das zu tun, und du warst sogar noch dümmer, dich von seinen schönen Worten einlullen zu lassen. Nun ist unser Onkel tot, und das Bündnis in echter Gefahr. Begreifst du denn nicht, dass das unsere Kampagne um Jahre zurückwerfen könnte? Du trägst ebenfalls einen Teil der Schuld, Liadan. Ich kann einfach nicht glauben, dass du dich entschieden hast, mir von diesen Visionen nichts zu

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