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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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draußen befanden oder hier um mich herum und wo ich nun eigentlich verkrampft saß, mit den Knien unter dem Kinn, die Arme über den Kopf gebogen. Ich versuchte, mich zu bewegen, und die Mauern waren so eng, es war erdrückend, und ich konnte nicht atmen. Ich durfte kein Geräusch von mir geben, nicht ein einziges Wimmern, oder ich würde zahlen müssen, wenn sie mich herausließen. So schrie die Stimme lautlos in meinem Kopf, während Tränen mir heiß und leidenschaftlich über die Wangen rannen und meine Nase lief, und ich konnte sie nicht einmal hochziehen, aus lauter Angst, dass sie mich hören könnten. Wo bist du? Wieso hast du losgelassen?
    »Liadan«, sagte Sean leise. »Liadan!« Und ich kam schaudernd wieder zu mir. »Du weinst.«
    »Ich habe nicht um die Gabe des Blicks gebeten«, sagte ich ihm zitternd. »Glaub mir, ich hätte alles dafür gegeben, Liams Tod verhindern zu können, aber so funktioniert es nicht. Ich hätte ihn vielleicht gewarnt, und er hätte einen anderen Weg genommen und wäre immer noch umgekommen. Das wissen wir einfach nicht.«
    Sean nickte ernst. »Es tut mir Leid. Aber es fällt mir schwer, dir nicht die Schuld zu geben. Manchmal frage ich mich, ob deine Verbindung zu dem Bemalten Mann dein Urteilsvermögen vollkommen gestört hat.«
    Ich seufzte. »Du hast Angst um Aisling, und das mit gutem Grund. Ich empfinde dasselbe wegen Bran. Du scheinst kaum verstehen zu können, dass ich ebenso lieben kann wie du.«
    »Du hättest deine Wahl vielleicht klüger treffen sollen. Dieser Mann kann nie Teil von Sevenwaters sein. Er ist … wie ein wildes Tier.«
    »Das weiß ich. Aber ich habe meine Wahl getroffen. Nun hast du ihn in große Gefahr geschickt, aus deinen eigenen Gründen, und ihn außerdem des Verrats und mich der Schwäche bezichtigt. Und dann bittest du mich um einen Gefallen.«
    Er schwieg einen Augenblick.
    »Du weißt, was du gesehen hast. Hat deine Vision von Aisling dir gezeigt, dass sie unmittelbar in Gefahr war?«
    Ich nickte zögernd. Sean war sehr bleich. »Ich kann nicht dort hingehen. Meine Leute brauchen mich. Bitte tu es für mich, für mich und für sie. Eamonn wird dich nicht abweisen; er kann dir nichts versagen. Ich werde dir eine starke Eskorte mitgeben, du könntest morgen Früh aufbrechen. Nimm Johnny mit, und auch das Kindermädchen, wenn du willst.«
    »Ich denke darüber nach«, sagte ich ihm, und mein Herz wurde kalt bei dem Gedanken, dass sich die Festungsmauern von Sidhe Dubh wieder um mich schließen würden, und noch kälter bei dem Gedanken, Eamonn um irgendetwas bitten zu müssen. »Aber ich werde auf keinen Fall morgen schon reiten. Ich kann Johnny nicht rechtzeitig fertig machen.«
    »Es muss bald sein.«
    »Ich weiß.«
    Als ich aufstand, um mich in mein Schlafzimmer zurückzuziehen, setzte er die Stimme des Geistes ein. Es tut mir Leid, Liadan. Liam hatte Recht. Ich bin noch nicht bereit. Aber jetzt muss ich es tun. Ich muss alles andere in mir verschließen und stark sein – für sie alle. Du bist meine Schwester, und ich werde immer für dich da sein, ganz gleich, wie du dich entscheidest.
    Das weiß ich.
    Ich drehte mich um, aber er sah mich nicht an. Er hatte sich vornüber gebeugt und die Hände vors Gesicht geschlagen. Du wirst ein starker und weiser Anführer sein, Sean. Deine und Aislings Kinder werden diese Hallen wieder mit Lachen erfüllen.
    Mit diesen Worten hatte ich mich verpflichtet zu tun, worum er gebeten hatte. Aber ich fürchtete mich vor dieser Reise. Ich hatte geglaubt, ich hätte vor wenigem Angst; aber nun begriff ich, dass ich Angst vor Eamonn hatte und vor seinem seltsamen Zuhause in den Marschen und den halb erschauten Visionen schlimmer Dinge, die innerhalb dieser Mauern vor sich gingen. Ich wäre viel lieber mit Johnny zu Hause geblieben, hätte den Frauen in der Küche geholfen, den Leuten im Dorf Arzneien gebracht und wäre im Herzen des Waldes sicher gewesen. Das Feenvolk hatte mich gewarnt. Conor hatte mich gewarnt. Es war gefährlich zu gehen.
    Es war nicht Seans Unruhe, die mich schließlich dazu brachte, sondern etwas viel Erschreckenderes. Der Mond begann abzunehmen, und in dieser Nacht war sein Licht von schweren Wolken umschleiert. Ein starker Wind aus Südosten brachte das Geräusch knarrender Äste und raschelnder Blätter in meine stille Kammer, als ich mich zum Schlafengehen fertig machte. Es war sehr spät. Das Kindermädchen hatte sich schon hingelegt und Johnny bei mir gelassen, der fest unter

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