Der Sohn der Schatten
einmal geschehen.«
»Aber …«, begann Niamh.
»Still, Mädchen.« Sie klappte bei Liams Worten den Mund zu; aber in ihrem Blick stand immer noch gewaltiger Zorn. »Dein Onkel ist ein kluger Mann. Du solltest hören, was Conor zu sagen hat. Er trägt selbst eine gewisse Verantwortung dafür; es ist zum Teil sein eigener Fehler, der uns dies auferlegt hat. Was hast du uns zu sagen, Bruder?«
Ich hatte nie zuvor gehört, dass mein Onkel ein einziges kritisches Wort gegen seine Brüder oder seine Schwester geäußert hätte, nicht in all den Jahren meiner Kindheit und Jugend. Aber hier lag ein alter Schmerz verborgen, den ich nur ahnen konnte.
»So ist es«, sagte Conor sehr leise und sah Niamh direkt mit seinen ernsten grauen Augen an, diesen Augen, die so viel sahen und in deren Tiefe alles verborgen lag. »Ich war es, der beschlossen hat, ihn hierher zu bringen; ich war es, der glaubte, dass es an der Zeit war, dass er vortrat und gesehen wurde. Trotz des Schmerzes, den er bewirkt hat, trotz allem, was er ist, ist Ciarán ein guter junger Mann und war bisher nur ein Gewinn für die Bruderschaft. Er ist sehr fähig. Sehr gewandt.«
»Ach tatsächlich«, knurrte Sean. »Gib ihm eine einzige Gelegenheit, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, und er hat nichts Besseres zu tun, als als Erstes die Tochter des Hauses zu verführen. Wirklich sehr gewandt.«
»Das genügt, Sean.« Es kostete Iubdan einen hohen Preis, so ruhig zu bleiben. »Deine Jugend verleitet dich zu übereilten Worten. Dies hier ist ebenso sehr Niamhs Tat wie die des jungen Mannes. Er hatte eine sehr behütete Jugend und hat vielleicht nicht vollkommen verstanden, was er da tat.«
»Ciarán ist viele Jahre bei der Bruderschaft gewesen, obwohl er erst einundzwanzig ist.« Conor sah Niamh direkt an, und im Lampenlicht war sein schmales Asketengesicht so hell wie sein Gewand. »Er war, wie ich schon sagte, ein vorbildlicher Schüler. Bis jetzt. Er hat sich als sehr geschickt erwiesen. Klug. Willig. Diszipliniert. Gewandt mit Worten und mit anderen Begabungen, die er gerade erst begonnen hatte, in sich zu erkennen. Niamh, dieser junge Mann gehört dir nicht.«
»Er hat es mir gesagt«, sagte Niamh mit brechender Stimme. »Er hat es mir gesagt. Er liebt mich. Ich liebe ihn. Nichts ist wichtiger als das. Nichts!« Ihre Worte waren trotzig, aber darunter spürte man ihre Angst. Sie hatte Angst vor dem, was Conor nicht ausgesprochen hatte.
»Es kann nichts zwischen dir und diesem jungen Mann geben.« Liams Worte waren schwer, als enthielten sie gewaltigen unausgesprochenen Kummer. »Du wirst so bald wie möglich angemessen verheiratet werden und Sevenwaters verlassen. Niemand darf davon erfahren.«
»Was!« Niamh wurde rot vor Zorn. »Einen anderen heiraten, nachdem … Das darfst du nicht sagen! Das darfst du einfach nicht! Sag es ihnen, Liadan! Ich werde keinen anderen als Ciarán heiraten! Es ist doch gleich, ob er ein Druide ist, das ist egal, er kann immer noch heiraten, er hat mir gesagt …«
»Niamh.«
Beim Klang von Vaters Stimme kam ihre Wörterflut abrupt in einem Schluckauf zum Stillstand.
»Du wirst diesen Mann nicht heiraten. Es ist nicht möglich. Vielleicht kommt dir das ungerecht vor. Vielleicht hast du den Eindruck, dass wir zu schnell entscheiden, ohne alles zu bedenken. Das ist nicht so. Wir können nur unsere Gründe nicht vollständig erklären, denn glaub mir, das würde dir noch mehr Schmerz verursachen. Aber Liam hat Recht, Tochter. Diese Verbindung ist unmöglich. Und nun, nachdem du deinem Begehren nachgegeben hast, wirst du so bald wie möglich einen Mann nehmen, damit … du musst heiraten, damit kein schlimmeres Übel über dieses Haus hereinbricht.«
Er klang unglaublich müde, und ich fand seine Worte seltsam. Was meine Schwester getan hatte, war dumm und vielleicht gedankenlos, aber es schien kaum eine solche Behandlung zu verdienen. Und mein Vater war der gerechteste aller Männer und fällte seine Entscheidungen immer erst, nachdem er alles sorgfältig abgewogen hatte.
»Darf ich etwas sagen?«, warf ich zögernd ein.
Ihre Reaktion war nicht ermutigend. Sean starrte mich wütend an, Liam runzelte die Stirn. Vater sah überhaupt nicht hin. Niamh stand wie erstarrt da, bis auf die Tränen, die ihr über die Wangen liefen.
»Was ist, Liadan?«, fragte Conor. Er bewachte seine Gedanken gut; ich wusste nicht, was in seinem Geist vorging, aber ich spürte tiefen Schmerz. Noch mehr Geheimnisse.
»Ich will Niamh
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