Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
Vom Netzwerk:
ich habe Kräuter gepflückt, und ich habe euch gesehen, und …«
    »Du hast es verraten! Du hast es Sean verraten! Liadan, wie konntest du so etwas tun?« Sie packte mich an den Armen, bohrte mir ihre Finger ins Fleisch, bis ich vor Schmerz aufkeuchte. »Du hast alles verdorben! Alles! Ich hasse dich!«
    »Niamh. Hör auf. Ich habe nichts gesagt, ich schwöre es. Aber du weißt, wie es mit mir und Sean ist. Ich konnte es nicht vor ihm verbergen«, sagte ich bedrückt.
    »Spionin! Petze! Du benutzt deine dumme Geistessprache, oder was immer es sein mag, als Ausrede. Du bist einfach nur eifersüchtig, weil du keinen eigenen Mann finden kannst! Aber mir ist es gleich. Ich liebe Ciarán, und er liebt mich, und niemand wird uns voneinander fern halten können! Hast du mich gehört? Niemand!«
    »Liam hat mir gesagt, ich solle auf dich warten und dich direkt zu ihm bringen«, konnte ich schließlich sagen und bemerkte, dass ich mich anstrengen musste, nicht zu weinen. Ich schluckte meine Tränen herunter. Sie würden niemandem helfen. »Er sagt, wir müssen Schweigen darüber bewahren. Es muss in der Familie bleiben.«
    »Oh ja, die Familienehre. Wunderbar. Wir dürfen keinesfalls die Möglichkeit einer Allianz mit den Uí Néill aufs Spiel setzen, nicht wahr? Schon gut, Schwester. Nun, nachdem ich die wichtige Familie beschämt habe, wirst du ja vielleicht den berühmten Fionn, Häuptling von Tirconnell, heiraten. Es könnte dein Glück sein.«
    Liams Reaktion war zutiefst beunruhigend gewesen, und Angst hatte mich erfasst, eine Angst, deren Ursache ich nicht verstand. Ich hatte versucht, ruhig zu bleiben und um meiner Schwester willen stark zu sein. Aber Niamhs Worte verletzten mich, und nun konnte ich meinen Zorn nicht mehr zurückhalten.
    »Brighid helfe uns«, fauchte ich. »Wann wirst du endlich begreifen, dass es noch mehr auf der Welt gibt als dich selbst? Du wirst es nicht leicht haben, Niamh. Es kommt mir so vor, als wärst du nur zu begierig, jene zu verletzen, die dir helfen könnten. Und jetzt komm, bringen wir es hinter uns.«
    Ich ging zur Tür meines Kräuterraumes. Von hier aus war es möglich, über die Hintertreppe zu dem Zimmer zu gelangen, wo Liam wartete, und dabei vielleicht nicht bemerkt zu werden. Niamh schwieg. Ich drehte mich um und hoffte, sie nicht mit Gewalt hinter mir herzerren zu müssen. »Kommst du?«
    Hufschlag war hinter der Gartenmauer zu hören, galoppierte zum Haupteingang. Stiefel knirschten auf Kies, als Männer aus dem Sattel sprangen. Sean hatte von seinem Botengang nicht unbeobachtet zurückkehren können.
    »Liadan.« Die Stimme meiner Schwester war leise.
    »Was?«
    »Versprich mir eines. Versprich mir, dass du bei mir bleiben wirst. Versprich mir, dass du dich für mich einsetzt.«
    Ich kehrte zu ihr zurück und legte ihr den Arm um die Schultern. Sie schauderte in ihrem dünnen Kleid, und Tränen schimmerten in ihren blauen Augen. »Selbstverständlich werde ich bleiben, Niamh. Und jetzt komm mit. Sie warten schon auf uns.«
    Als wir oben eintrafen, waren sie schon alle da. Alle bis auf Mutter. Liam, Conor, Sean und Vater standen alle vier bereit, die Gesichter im Zwielicht noch grimmiger, denn nur eine kleine Lampe brannte auf dem Tisch, und draußen war es dunkel geworden. Die Atmosphäre war angespannt. Ich sah, dass sie miteinander gesprochen hatten und nun schwiegen, nachdem wir eingetroffen waren. Wenn etwas mich wirklich verängstigte, als ich dort neben meiner Schwester stand, dann war das Conors Gesicht. Seine Miene spiegelte wider, was ich vor nicht allzu langer Zeit schon auf den Zügen seines Bruders gesehen hatte. Nicht ganz Angst. Mehr die Erinnerung an Angst.
    »Mach die Tür zu, Liadan.« Ich tat, was Liam mir sagte, und kehrte dann an die Seite meiner Schwester zurück, die mit hocherhobenem Kopf dastand wie eine Prinzessin in einer traurigen alten Geschichte. Ihr Haar schimmerte golden im Lampenlicht. In ihren Augen glitzerten die ungeweinten Tränen.
    »Sie ist deine Tochter«, sagte mein Onkel barsch. »Vielleicht solltest du zuerst mit ihr sprechen.«
    Vater stand hinten im Zimmer, sein Gesicht lag im Schatten. »Du weißt, um was es geht, Niamh.« Er klang ganz ruhig.
    Niamh sagte nichts, aber ich sah, wie sie sich noch gerader aufrichtete und den Kopf noch ein wenig höher hob.
    »Ich habe immer von meinen Kindern erwartet, dass sie die Wahrheit sagen, und jetzt will ich die Wahrheit von dir hören. Wir hatten auf eine gute Heirat für dich gehofft.

Weitere Kostenlose Bücher