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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Vielleicht habe ich dir mehr Freiheiten erlaubt, als einige für klug hielten. Freiheit, deine eigene Wahl zu treffen. Im Austausch dafür hatte ich … zumindest Ehrlichkeit erwartet. Vernunft. Ein gewisses Urteilsvermögen.«
    Immer noch schwieg sie.
    »Du solltest es uns lieber sagen, und die ganze Wahrheit. Hast du dich diesem jungen Mann hingegeben? Hat er bei dir gelegen?«
    Ich spürte das Beben, das den Körper meiner Schwester durchzuckte, und wusste, dass es Zorn war, keine Angst.
    »Und was wenn?«, fauchte sie.
    Sie schwiegen kurz, dann sagte Liam grimmig: »Antworte deinem Vater.«
    Niamhs Augen blitzten vor Trotz, als sie ihn wütend anstarrte.
    »Was geht es dich an?«, wollte sie wissen und sprach jetzt lauter, und sie packte meine Hand so fest, dass ich glaubte, sie würde mir die Finger brechen. »Ich bin nicht deine Tochter und bin es nie gewesen. Deine Familienehre, deine dummen Bündnisse sind mir gleich. Ciarán ist ein guter Mann, und er liebt mich, und das ist alles, was zählt. Der Rest ist nicht deine Sache, und ich werde sie nicht besudeln, indem ich in einem Zimmer voller Männer darüber spreche! Wo ist meine Mutter? Warum ist sie nicht hier?«
    Oh Niamh. Ich entzog ihr meine Hand und wandte mich ab. Ein Gewicht, kalt wie Stein, lag in meinem Herzen.
    Es war Sean, der vortrat, und ich hatte noch nie solchen Zorn in seinem Blick gesehen oder in meinem Geist solche Wut und solche Trauer gespürt, wie ich sie in diesem Augenblick von ihm empfing. Es war unmöglich, ihn aufzuhalten. Vollkommen unmöglich.
    »Wie kannst du es wagen!«, sagte er mit vor Wut kalter Stimme, und er hob die Hand und schlug Niamh auf die reizende tränennasse Wange. Sofort erschienen rote Flecken auf der goldenen Haut. »Wie kannst du es wagen, das zu fragen? Wie kannst du es wagen, zu erwarten, dass sie dies erträgt? Hast du auch nur die geringste Ahnung, was deine eigensüchtige Dummheit ihr antun wird? Weißt du denn nicht, dass unsere Mutter im Sterben liegt?«
    Und so unglaublich es war, sie hatte es nicht gewusst. Die ganze Zeit, während Sean und ich und Iubdan und ihre Brüder zugesehen hatten, wie Sorcha jeden Tag ein bisschen weniger wurde, als wir gespürt hatten, dass unsere Herzen kalt wurden, während sie sich mit jedem Mond einen weiteren Schritt von uns entfernte, war Niamh so in ihrer eigenen Welt versunken gewesen, dass ihr nichts aufgefallen war. Sie wurde weiß wie Pergament, wenn man von dem Fleck auf ihrer Wange absah, und sie presste die Lippen fest aufeinander.
    »Das genügt, Sean.« Iubdan sah aus wie ein alter Mann, als er nun aus dem Schatten heraustrat, und das Licht zeigte die Falten und Furchen des Kummers auf seinem Gesicht. Er nahm meinen Bruder am Arm und führte ihn weg von Niamh, die wie erstarrt mitten im Zimmer stand. »Das genügt, Sohn. Ein Mann von Sevenwaters hebt nicht die Hand im Zorn gegen eine Frau. Setz dich. Setzen wir uns alle.« Er war ein starker Mann, mein Vater. So stark, dass er manchmal alle anderen beschämte. »Vielleicht solltest du gehen, Liadan. Wir können zumindest dir etwas ersparen.«
    »Nein!« Niamhs Stimme war schrill vor Angst. »Nein! Ich will, dass sie hier bleibt. Ich will, dass meine Schwester hier bleibt!«
    Vater warf mir einen Blick zu und zog die Brauen hoch.
    »Ich werde bleiben«, sagte ich, und meine Stimme klang wie die einer Fremden. »Ich habe es versprochen.« Ich warf Conor einen Blick zu und sah, wie bleich er war, wie schmal sein Mund. Er hatte mir gesagt, ich dürfe mich nicht schuldig fühlen an dem, was geschehen würde. Aber dies hätte er nicht vorhersehen können. Ich sah ihn an. Du hast mir nicht gesagt, dass es so sein würde!
    Ich wusste es nicht. Ich hätte viel dafür gegeben, es verhindern zu können. Dennoch, was geschehen muss, geschieht.
    »Also gut«, sagte Vater müde, als wir schließlich alle saßen, Niamh und ich zusammen auf einer Bank, denn sie hatte wieder meine Hand gepackt und ließ diesmal nicht mehr los. »Wir werden heute nichts mehr aus dir herausholen, das sehe ich. Ich verstehe auch, wie die Antwort auf meine Frage lautet, obwohl du sie nicht laut gegeben hast. Aber mir ist klar, dass du nicht begreifst, was du da getan hast. Wäre dies einfach nur eine jugendliche Eskapade, hättest du dich nur der Stimmung von Imbolc ausgeliefert, dem Drängen deines Körpers, könnte es eher akzeptiert, wenn auch nicht entschuldigt werden. Solche Fehler passieren, und man kann über sie hinwegsehen, wenn sie nur

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