Der Sohn der Schatten
meinte Evan, und das Grinsen entspannte sich zu einem Lächeln, das seinen stumpfen Zügen eine überraschende Liebenswürdigkeit verlieh. »Es wäre über meine Kraft gegangen, nicht hinzusehen. Und es war ein sehr angenehmer Anblick, wenn ich das sagen darf.«
»Nein, das darfst du nicht sagen«, fauchte ich, aber ich hatte ihm schon verziehen. »Tu das nicht wieder, hast du das verstanden? Es ist schlimm genug, die einzige Frau hier zu sein, auch ohne …«
Plötzlich war er ernst.
»Diese Männer würden dir nie etwas tun, Mädchen«, sagte er leise. »Sie sind keine Barbaren, die Frauen vergewaltigen. Wenn sie eine Frau wollen, brauchen sie keine zu zwingen. Es gibt viele, die es freiwillig tun, und nicht alle nur für Geld, glaub mir. Außerdem wissen sie, dass sie dich nicht anrühren dürfen.«
»Wegen dem, was er gesagt hat? Der Hauptmann?«
»Nun ja, er hat ihnen doch wohl klar gemacht, dass sie die Finger von dir lassen sollen. Aber das hätte er sich auch sparen können. Jeder, der Augen im Kopf hat, sieht, dass du eine Frau fürs Ehebett bist, nicht eine, die man sich rasch am Straßenrand nimmt, wenn du verzeihst, dass ich so etwas erwähne. Hast du zu Hause einen Mann?«
»Nicht genau«, sagte ich, unsicher, wie ich darauf antworten sollte.
»Was meinst du damit? Entweder du hast einen oder nicht. Ehemann? Liebster?«
»Ich habe einen … Ich nehme an, man würde ihn als Bewerber bezeichnen. Aber ich habe noch nicht eingewilligt, ihn zu heiraten. Noch nicht.«
Evan seufzte tief, als ich die Decke fest um ihn stopfte und das improvisierte Kissen zurechtzupfte.
»Armer Junge«, meinte er schließlich. »Lass ihn nicht zu lange warten.«
»Wenn ich dir das nächste Mal sage, du sollst die Augen schließen, lässt du sie geschlossen«, erklärte ich ernst.
Er murmelte etwas und schlief dann ein, immer noch mit der Spur eines Grinsens auf seinen Zügen.
***
An diesem Abend erzählte ich ihnen Geschichten, um sie zum Lachen zu bringen. Alberne Geschichten. Komische Geschichten. Iubdan und der Teller Haferbrei. Und wie er anschließend Rache an den großen Leuten nahm. Die Geschichte von dem Mann, dem das Feenvolk drei Wünsche gewährte, so dass er Gesundheit, Wohlstand und Glück hätte haben können. Der arme Dummkopf hatte am Ende nur eine Wurst. Als ich fertig war, bogen sich die Männer vor Lachen und baten um eine weitere Geschichte. Selbstverständlich alle bis auf den Hauptmann. Ich ignorierte ihn, so gut ich konnte.
»Noch eine«, sagte ich. »Nur eine. Und jetzt ist es Zeit, wieder ernst zu werden und über die Sterblichkeit aller Wesen nachzudenken. Ich habe euch gestern Abend von einem unserer größten Helden, von Cú Chulainn von Ulster, erzählt. Ihr erinnert euch vielleicht, dass er bei der Kriegerin Aoife lag, und wie sie ihm einen Sohn geboren hat, lange nachdem er die Insel verlassen hatte. Nicht, dass er ihr sonst nichts hinterließ. Er gab ihr einen kleinen Goldring für ihren kleinen Finger, bevor er davonzog, um seine geliebte Emer zu heiraten.«
»Nett von ihm«, meinte jemand trocken.
»Aoife war daran gewöhnt. Sie war eine selbstbewusste Frau und stark, und sie hatte wenig Zeit für die Eigensüchtigkeit der Männer. An einem Tag brachte sie ihr Kind zur Welt, und am nächsten war sie wieder draußen und schwang ihre Kampfaxt. Sie nannte den Jungen Conlai, und wie ihr euch vorstellen könnt, wuchs er zu einem Experten in allen Kriegskünsten heran, so dass sich wenige im Feld mit ihm messen konnten. Als er zwölf Jahre alt war, gab ihm seine Mutter, die Kriegerin, einen kleinen, goldenen Ring, den er an einer Kette um den Hals tragen konnte, und sie erklärte ihm, wer sein Vater gewesen war.«
»Keine gute Idee?«, wollte Schlange wissen.
»Das kommt darauf an. Ein Junge muss wissen, wer sein Vater ist. Und wer kann schon sagen, was für ein Ende die Geschichte gehabt hätte, hätte Aoife ihm dieses Wissen vorenthalten? Es war Cú Chulainns Blut, das in seinen Adern floss, ob er den Namen trug oder nicht. Er war dazu ausersehen, Krieger zu werden, Gefahren auf sich zu nehmen, und er hatte den ganzen waghalsigen Mut seines Vaters.
Sie hielt ihn zurück, solange sie konnte, aber dann kam der Tag, als Conlai vierzehn Jahre alt war und sich für einen Mann hielt, und er machte sich auf, um seinen Vater zu suchen und ihm zu zeigen, was für einen feinen Sohn er gezeugt hatte. Aoife bedauerte das und versuchte, den Jungen zu schützen. Sie erklärte ihm, er müsse
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