Der Sohn der Schatten
welcher Gefahr du dich befindest. Vielleicht bist du ein wenig arm im Geist.«
»Also gut«, meinte ich. »Ich sage dir meinen Namen und wo ich herkomme, wenn du mir deinen wahren Namen sagst und wo du geboren wurdest. Ich würde annehmen, du kommst aus Britannien, obwohl du unsere Sprache fließend sprichst. Aber keine Mutter nennt ihren Sohn Hauptmann.«
Er schwieg einen Augenblick. Dann sagte er: »Du begibst dich auf gefährliches Gelände.«
»Ich will dich an eines erinnern«, erwiderte ich mit klopfendem Herzen. »Ich bin nicht freiwillig hier. Die Männer meines Haushalts werden nach mir suchen, und sie sind sowohl bewaffnet als auch gute Kämpfer. Glaubst du wirklich, ich würde sie gefährden, indem ich dir sage, wer sie sind und woher sie kommen? Ich mag vielleicht dumm sein, aber nicht so dumm. Ich habe dir gesagt, mein Name ist Liadan, und das muss dir genügen, bis du mir deinen verrätst.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wieso sich jemand die Mühe machen würde, nach dir zu suchen«, meinte er verärgert. »Führt nicht deine Gewohnheit, Widerworte zu geben und dich wie ein neugieriger Terrier in alles einzumischen, dazu, dass deine Leute deiner bald müde werden?«
»Das ist nicht so«, meinte ich freundlich. »Zu Hause bin ich als ein stilles, pflichtbewusstes Mädchen bekannt. Ich habe gute Manieren, bin fleißig und gehorsam. Ich denke, du bist es, der das Schlimmste in mir zu Tage fördert.«
»Hm«, sagte er. »Still, pflichtbewusst. Das bezweifle ich. Das erfordert zu viel Fantasie. Es ist wahrscheinlicher, dass du, wie alle von deiner Art, lügst, wenn es dir passt. Das sollte einer solchen Geschichtenerzählerin leicht fallen.«
»Du beleidigst mich«, sagte ich, und es fiel mir immer schwerer, ruhig zu bleiben. Ich hätte einen Schlag ins Gesicht vorgezogen. »Geschichten sind keine Lügen, sie sind auch keine Wahrheiten, sondern etwas dazwischen. Sie können so wahr oder so falsch sein, wie der Hörer es sich aussucht oder wie der Erzähler ihn glauben lassen will. Es ist ein Zeichen des engen Kreises, den du um dich ziehst, um andere fern zu halten, dass du dies nicht verstehst. Es fällt mir nicht leicht zu lügen, und ich würde es auch nicht aus einem oberflächlichen Grund tun.«
Er starrte mich wütend an, die grauen Augen wie Eis. Endlich hatte ich eine Reaktion hervorgerufen.
»Bei Gott, Frau, du kannst einen wirklich mit dieser verdrehten Logik ermüden!«, sagte er ungeduldig. »Es genügt. Wir haben zu tun.«
»In der Tat«, sagte ich leise, drehte mich um, ging zu meinem Patienten und warf keinen Blick zurück.
Evan ging es besser; er war klar im Geist und schlief besser. Ich achtete darauf, dass niemand sah, wie sehr mich das überraschte. An diesem Abend hielt Möwe Wache, und ich fragte ihn, wie man den Kranken in Sicherheit bringen wollte, wenn die Zeit dazu gekommen war, aber er war ausweichend mit seinen Antworten. Dann schickte ich ihn eine Weile nach draußen, so dass ich mich für die Abendmahlzeit waschen und vorbereiten konnte. Der Schmied schlief beinahe, hatte die Augen bis auf Schlitze geschlossen und atmete ruhig genug nach all den Schmerzen, die der Verbandwechsel ihm bereitet hatte. Er hatte ein wenig Brühe gegessen.
»Das hier ist ein wenig peinlich«, sagte ich ihm. »Schließ die Augen, wende den Kopf ab und rege dich nicht, bis ich es dir sage.«
»Still wie ein Grab«, flüsterte er mit einer gewissen Ironie und schloss die Augen.
Ich zog mich rasch aus und schauderte, als ich mich mit Wasser aus dem Eimer wusch und dabei das Stück grober Seife benutzte, das Hund für mich gefunden hatte. Als ich mich wieder abspülte, spürte ich Gänsehaut, Sommer oder nicht. Ich drehte mich um, griff nach dem rauen Handtuch und wollte mich so rasch wie möglich anziehen, und dann fiel mir auf, dass Evan die tief liegenden braunen Augen weit geöffnet hatte, als er da auf seinem Strohsack lag, mich anstarrte und von einem Ohr zum anderen grinste.
»Schande über dich«, rief ich und spürte, wie ich am ganzen nackten Körper errötete. Es blieb mir nichts übrig, als mich rasch abzutrocknen und so schnell wie möglich meine Unterwäsche anzuziehen, dann das Hemd und das Kleid, und froh zu sein, dass ich die Verschlüsse am Rücken ohne Hilfe erreichen konnte. »Ein erwachsener Mann wie du benimmt sich wie ein … wie ein schlecht erzogener Junge, der den Mädchen nachspioniert. Habe ich dir nicht gesagt …«
»Es war nicht böse gemeint, Mädel«,
Weitere Kostenlose Bücher