Der Sohn der Schatten
braves Mädchen. Hast dein Bestes getan.«
»Ich habe es versucht. Es tut mir Leid, wenn es nicht genügte.«
»Oh nein. Weine nicht um mich, Mädchen …« Sein Atem rasselte. »Trockne die Tränen. Du hast noch viel Zeit vor dir. Verschwende deinen Kummer nicht an einen hässlichen Kerl wie mich.«
Das ließ die Tränen nur rascher fließen, nicht nur weil ein guter Mann gehen sollte, sondern auch um meine Mutter, die auf demselben Weg wandelte, und um die arme Niamh, der man versagt hatte, was sie sich so sehr wünschte, und um die Welt, die es notwendig machte, dass Männer ihre besten Jahre damit verschwendeten, ein Leben von Flucht und Heimlichkeiten und Morden zu leben. Ich weinte, weil ich nicht wusste, wie ich das ändern sollte. Evan schwieg längere Zeit. Danach begann er von seiner Frau, von Biddy, zu sprechen. Sie hatte ein paar Jungen, die Kinder eines anderen Mannes. Zwei feine Burschen. Ihr Vater war ein unangenehmer Kerl gewesen, der sie geschlagen hatte. Sie hatte ein schweres Leben hinter sich. Nun, der Mann war gestorben. Am besten redete man nicht genau darüber, wie er gestorben war. Und jetzt gehörte sie Evan. Und wartete darauf, dass er sein Söldnerleben aufgab und zu ihr zurückkam. Dann würden sie irgendwo hinziehen, er und Biddy und die Jungen, eine kleine Schmiede einrichten, vielleicht irgendwo weit weg. Es gäbe immer Arbeit für einen guten Handwerker, und Biddy war sich für keine Arbeit zu schade. Er würde den Jungen das Handwerk beibringen und ihnen eine Zukunft geben. Ein- oder zweimal sprach er so, als würde Biddy seine Hand halten, und ich nickte und lächelte.
Später ergab sich die Gelegenheit, ihm die Frage zu stellen, und ich ergriff sie.
»Evan. Ich muss ganz offen mit dir sprechen, solange du mich verstehst.«
»Was ist denn, Mädchen?«
»Es ist nicht mehr viel Zeit. Wir wissen es beide. Du hast Schmerzen, und es wird schlimmer werden. Ich wollte … ich wollte dir einen sehr starken Schlaftrunk anbieten, einen, der dich bis zum Ende betäuben würde. Aber du wärst nicht im Stande, ihn bei dir zu behalten. Wenn du … wenn du es abkürzen willst, könnte ich Bran bitten … ich könnte den Hauptmann bitten, dich … er könnte …« Ich stellte fest, dass ich die Worte nicht aussprechen konnte.
»… weiß, was ich will. Ruf ihn herein, ich sag's euch beiden … spart mir die Puste.«
Also musste ich nach draußen gehen und Bran hereinholen, nachdem ich mir fest das Gesicht abgerieben hatte, um die Tränen wegzuwischen. Er war nicht weit weg, lehnte mit dem Rücken an der Steinmauer des alten Grabhügels und starrte weit in die Ferne, offensichtlich tief in Gedanken versunken. Sein Mund war eine dünne, grimmige Linie.
»Könntest … könntest du bitte reinkommen?«
Er zuckte zusammen, als hätte ich ihn geschlagen, dann folgte er mir ohne ein Wort.
»Ich muss dich ein paar Dinge fragen. Setz dich hin, Hauptmann. Hab nicht mehr viel Luft, muss leise reden.«
»Ich bin hier. Wir sind beide hier.«
»Weißt du, was sie mich gefragt hat?« Das war der winzige, rasselnde Geist eines Lachens.
»Ich kann es mir nicht vorstellen.«
»Hat gefragt, ob ich will, dass du Schluss machst. Weil sie es nicht selber kann. Würdest du das glauben? Was für ein Mädchen.«
Beide sahen mich jetzt an, und ihre Mienen glichen einander. Süße Brighid, warum konnte ich nicht aufhören zu weinen?
»Will ich nicht. Aber danke für das Angebot. Ist nicht einfach. Ich will … ich will draußen sein. Unter den Sternen. Kleines Feuer. Geruch von brennenden Tannenzapfen, und die Nachtluft auf meinem Gesicht. Ein Tropfen zu trinken, starkes Zeug, damit mir nicht kalt wird. Und eine Geschichte. Eine gute, lange Geschichte. Das ist es, was ich will.«
»Ich denke, das lässt sich machen.« Aber nun war ich es, die Bran ansah, und wieder lag dieser Ausdruck in seinen Augen, diesmal weniger flüchtig. Diese grauen Augen, so klar und echt, die Augen eines vertrauenswürdigen Mannes. Der Mund weich von Sorge und etwas anderem. Ich spürte, dass dieser unmaskierte Bran erheblich gefährlicher für mich war, als es der Bemalte Mann je sein könnte.
»Noch eins«, flüsterte Evan. »Hauptmann. Wegen meiner Frau. Möwe weiß, wo ich mein Zeug versteckt habe. Ihr müsst euch um sie und die Jungs kümmern. Ich habe gespart. Es sollte reichen. Möwe weiß, wo sie ist.«
Bran nickte. »Mach dir deshalb keine Gedanken. Ich werde mich darum kümmern, dass für sie gesorgt wird.
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