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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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ihrem Land war sie dafür berühmt. Dann gab es andere, die sie als Hexe bezeichneten. Das führte schließlich dazu, dass sie verfolgt und getötet wurde. Möwe hat Unerträgliches erlebt.«
    Ich konnte nicht widerstehen zu fragen: »Ich dachte, diese Männer hätten keine Vergangenheit?«
    »Sie lernen, sie hinter sich zu lassen. Um das zu tun, was wir tun, muss ein Mann mit leichtem Gepäck reisen. Er darf keine Erinnerungen und keine Hoffnungen mit sich herumschleppen. Um zu sein, was wir sind, muss man nur an die Aufgabe denken, die vor einem liegt.«
    »Ich kannte Möwes Geschichte.«
    »Er hat es dir erzählt?«
    »Die anderen haben es mir erzählt. Jeder hat seine Geschichte. Sie liegen nicht so tief begraben. Jeder hat seine Hoffnung. Kein Mensch kann wirklich ohne Hoffnung sein.«
    »Ach nein?«
    Ich entschied, dass es besser wäre, diesem Thema nicht weiter zu folgen.
    »Bist du nie in Versuchung geraten?«, fragte er leise. »Wenn ein Patient Schmerzen hat und du weißt, dass er nicht überleben wird? Es wäre doch einfach, diesen Trunk etwas stärker zu machen, oder nicht? So dass er nicht weiter leidet, sondern einfach einschläft und nie wieder erwacht?«
    Ich hatte genau dasselbe gedacht.
    »Man muss vorsichtig sein«, sagte ich. »Es kann gefährlich werden, sich in solche Dinge einzumischen, und nicht nur für das Opfer. Wir haben jeder unsere eigene Zeit, bis wir weitergehen. Es ist die Göttin, die am Ende entscheidet. Ich würde so etwas nur tun, wenn ich glaubte, dass sie mir die Hand führt.«
    »Du folgst dem alten Glauben?«
    Ich nickte widerstrebend, weil ich nicht über meine Familie sprechen wollte.
    »Würdest du es tun?«, fragte er mich. »Wenn es schlimmer für ihn wird?«
    »Dann wäre ich nicht anders als du mit deinem kleinen Messer. Deine praktische Lösung. Ich heile. Ich töte nicht.«
    »Ich denke, du würdest es tun, wenn es sein müsste.«
    »Ich will die Göttin nicht erzürnen, und ich würde einen solchen Schritt auch nicht vollziehen, wenn ich nicht vollkommen überzeugt wäre, dass es das ist, was Evan sich wünscht. Ich denke, ich kann nicht sagen, was ich tun würde, bis ich der Entscheidung wirklich gegenüberstehe.«
    »Die Gelegenheit wirst du vielleicht erhalten.«
    Ich antwortete nicht.
    »Hast du geglaubt«, fuhr er nach einer Weile fort, »dass ich es getan hätte? Diese bequeme Lösung für dich selbst benutzt, weil du mir im Weg warst?«
    »Damals ja. Ich hielt es für möglich. Und … nach allem, was ich über dich gehört habe, erschien es mir durchaus möglich.«
    »So etwas hätte ich nie getan.«
    »Das weiß ich jetzt.«
    »Versteh mich nicht falsch. Ich bin nicht weich. Das Gewissen beunruhigt mich nicht. Ich fälle Entscheidungen rasch, und ich gestatte mir nicht, sie zu bedauern. Aber ich töte nicht grundlos Unschuldige.«
    »Warum hast du dann …« Es war zu spät, die Worte zurückzunehmen.
    »Warum habe ich was?« Sein Tonfall war plötzlich gefährlich geworden, er hatte mich mit seiner Freundlichkeit in die Falle gelockt.
    »Nichts.«
    »Sag es mir. Welche Geschichten hast du über mich gehört?«
    »Ich …« Es war klar, dass Schweigen nicht genügen würde. Und er würde wissen, wenn ich log. »Man hat mir vor nicht allzu langer Zeit erzählt, dass eine Gruppe von Männern auf ihrem eigenen Land überfallen und getötet wurde, während sie ihre Toten nach Hause bringen wollten, um sie zu begraben. Ich hörte, man hätte ihren Anführer gezwungen zuzusehen, wie seine Freunde einer nach dem anderen starben. Für nichts. Für nichts weiter als für die Zurschaustellung eurer Kunstfertigkeit. Die Beschreibung, die er … die Geschichte wurde so erzählt, dass es klar wurde, dass du verantwortlich warst.«
    »Aha. Wer hat dir das erzählt? Wo hast du es gehört?«
    »Wer war dein Vater? Wo bist du zur Welt gekommen? Ware gegen Ware, erinnerst du dich?«
    »Du weißt, dass ich es dir nicht sagen werde.«
    »Eines Tages wirst du es tun.« Plötzlich war diese Kälte wieder da, als wäre ein Geist vorbeigeschwebt und hätte mich mit seinem Atem berührt. Ich wusste nicht, warum ich das gesagt hatte, aber ich wusste, dass meine Worte der Wahrheit entsprachen.
    »Hast du das auch gespürt?«, fragte Bran beunruhigt.
    Ich starrte ihn an. »Was gespürt?«
    »Diese … diese Kälte, ein plötzlicher Luftzug. Vielleicht kippt das Wetter um.«
    »Vielleicht.« Das wurde wirklich lächerlich. Ich teilte nicht nur seine Albträume, er spürte es auch,

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