Der Sohn des Alchemisten
nicht?«
»Meister Flamel, wir haben uns im Wirtshaus
Zum goldenen
Ochsen
getroffen«, flüsterte Johannes. »Wer hätte gedacht, dass wir uns so wiedersehen! Wie freue ich mich, Euch helfen zu können!«
»Ganz meinerseits!« Flamel zuckte zusammen, als es über ihren Köpfen polterte. »Äh, habt ihr euch schon etwas überlegt? Wie kommen wir hier bloß raus?«
»Jetzt müsst Ihr Euch wirklich verwandeln.« Marie wandte sich zu Johannes. »Bitte, zieh deine Kutte aus!«
»Ausziehen?« Johannes starrte sie an. »Aber ich habe nur ein dünnes Unterkleid darunter! Da bin ich ja fast nackt!«
»Verstehst du denn immer noch nicht! Wir müssen Jakobs Vater in einen Mönch verwandeln! Dann nimmt er Josephine am Strick und so kann er unerkannt aus der Burg!«
»Vater, ist das nicht ein hervorragender Plan?«, drängelte sich Jakob nach vorne. »Du wirst ein Mönch!«
Endlich schien Johannes zu begreifen und pellte sich aus seiner Kutte. Über ihnen auf der Bühne war unterdessen wildes Getrampel zu hören. Die Stimmen überschlugen sich. »Der Hahn! Dort fliegt er! Das ist der Magier! Unglaublich! Die Jungen haben es bezeugt!«
»Jakob, das Messer, schnell«, befahl Marie leise.
Jakob gehorchte und holte es aus seinem Bündel. Ausnahmsweise hatte er es sofort gefunden. »Wozu brauchst du es?«
»Ich brauch es gar nicht, du darfst es nehmen«, wehrte Marie ab. »Deinen Vater rasierst du selbst!«
Jakob schaute sie überrascht an, dann fing er an zu grinsen. »Vater, Marie hat immer die besten Ideen. Du musst jetzt schön stillhalten – dein Bart muss dran glauben!«
»Äh, wenn du meinst, mein Kind«, krächzte Flamel und schielte auf das Messer. »Mich kann heute nichts mehr überraschen!«
Jakob packte er den Bart seines Vaters und schnitt ihn mit einer schnellen Bewegung ab.
»Au, das ziept«, beschwerte sich Nicholas Flamel, aber die Kinder ließen ihm keine Zeit zum Jammern. Johannes hielt ihm seine Kutte hin. »Bitte schön! Sie wird Euch zwar viel zu kurz sein! Aber es geht ja um Leben und Tod, wie ich höre!«
»Danke!« Flamel zog seinen schwarzen Mantel aus und schlüpfte in die Kutte.
»Zieht die Kapuze über«, riet ihm Johannes und rollte Flamels Mantel zu einem Bündel zusammen. »Den lege ich draußen in den Hof«, grinste er. »Sollen die Leute doch versuchen, sich einen Reim darauf zu machen!«
Marie hob vorsichtig den Stoff, mit dem die Holzbühne ummantelt war, ein Stückchen an und spähte ins Freie. Sie konnte ein großes Durcheinander erahnen – aber hinter der Bühne war alles ruhig. »Meister Flamel!« Sie winkte ihm. »Die Luft ist rein! Wo steht Josephine?«
»Im Stall natürlich, ha, die Gute wird sich wundern«, flüsterte Johannes. »Hoffentlich bockt sie nicht!«
»Ich komme mit«, mischte sich Jakob ein. »Ich lass dichdoch nicht allein mit dem Esel ziehen, Vater! Und du, Marie, kommst auch mit! Los!«
»Du hast recht.« Marie nickte. »Zu dritt mit einem Esel fallen wir noch weniger auf. Selbst wenn jemand Verdacht schöpft und nicht glaubt, dass Ihr Euch in einen Hahn verwandelt habt, wird er nicht nach drei Leuten mit Esel Ausschau halten!«
»Ähem – wann bekomme ich denn meine Kutte wieder?«, flüsterte Johannes hinter ihnen.
»Wir treffen uns im Wald vor dem Tor!« Sie wandte sich noch einmal zu ihm um. »Dich wird ja keiner aufhalten! Los!«
Ungesehen huschten die drei an der Rückseite der Bühne ins Freie und beeilten sich, zum Stall zu kommen. Gerade versuchte ein johlender Haufen, den Hahn in die Enge zu treiben. Marie konnte mitten in der Menge Jorge erkennen. Und es schien ihr, als würde er besonders eifrig hinter dem Hahn herlaufen – und ihn im entscheidenden Moment immer wieder weiterscheuchen! Marie unterdrückte ein Grinsen. Auf die Bande war Verlass!
Der Graf stand fassungslos und mit geballten Fäusten im Hof, sichtlich um Würde bemüht. An der Wand lehnte Rui und beobachtete belustigt den Trubel. Marie wandte den Blick schnell wieder von ihm ab.
»Dort ist Josephine!« Jakob band sie los und drückte den Strick seinem Vater in die Hand.
»Nicht rennen«, murmelte Nicholas Flamel unter seiner Kapuze. Besonders fromm sah er nicht aus, denn die Kuttereichte ihm nur bis zu den Knien. »Vielleicht sollte ich ein wenig torkeln? Immerhin sind die Festgäste alle nicht mehr ganz nüchtern!«
»Hauptsache, keiner sieht sich Euer Gesicht allzu genau an«, meinte Marie leise und verlangsamte ihre Schritte.
»Ich hab ihn, den Zauberhahn«, ertönte
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