Der Sohn des Apothekers (German Edition)
erst einmal mit den Akten befassen.«
Der Kriminaloberrat druckste ein wenig herum. »Wissen Sie,
normalerweise koordinieren wir Vermisstenfahndungen und unterstützen die
Kollegen vor Ort bei ihrer Arbeit«, holte er aus. »Aber diesmal müssen wir
unsere Arbeitsweise ein klein wenig ändern. Deswegen bin ich froh, dass Sie uns
unterstützen, denn Sie sind ein Mann der Praxis und können unserer Abteilung
mit neuen Impulsen helfen. Wir werden diesmal die Ermittlungen leiten.«
»Sie meinen, wir führen die Ermittlungen, wenn ich Sie richtig
verstehe.«
Engel zog die Stirn kraus. »Auf uns lastet ein immenser Druck«,
sagte er zögerlich. »Nicht nur die Presse sitzt uns im Nacken, auch die Mutter
der noch immer verschwundenen Melanie Reubold hat sich an uns gewandt. Wir
brauchen dringend Ergebnisse, und die polizeiliche Praxis, das gebe ich offen
zu, ist nicht gerade unsere Paradedisziplin. Wir sind in erster Linie Service-und Koordinierungsstelle. Der Direktor erwartet, dass wir uns mit dem Fall
intensiv auseinandersetzen. Er hat uns freie Hand gegeben. Ich könnte noch
weitere Männer …«
Trevisan hob beschwichtigend die Hände. »Ich denke, ich lese
mich erst einmal in die Akten ein.«
»Gut. Sobald Sie wissen, welchen Kräfteansatz wir benötigen,
melden Sie sich bei mir«, entgegnete der Kriminaloberrat. »Trevisan, ich
verlasse mich in dieser Sache voll auf Ihre Fachkenntnisse. Sie leiten diese
Untersuchung und wenn Sie etwas brauchen, dann sagen Sie einfach Bescheid.«
*
Als Justin Belfort nach einer unruhigen Nacht und einem
kargen Frühstück den Klosterkrug verließ, schien dieser Ort noch immer
vom Leben ausgegrenzt zu sein. Auf dem weitläufigen Kirchplatz war trotz des
blauen und strahlenden Himmels keine Menschenseele unterwegs. Noch nicht einmal
die nahe Hauptstraße war befahren, und dabei war es die kürzeste Verbindung
zwischen Neustadt und Mardorf.
Die Aufnahmen, die er gestern am Bannsee gemacht hatte, waren
bereits an die Redaktion übermittelt. Aus den Polizeiakten wusste er, wo genau
damals die Fahrräder der beiden Mädchen aufgefunden worden waren. Gute Kontakte
zur Justiz und zur Polizei waren oftmals unbezahlbar. Ein Landwirt, der zu
Waldarbeiten den engen Feldweg vom See in Richtung des Campingplatzes gefahren
war, hatte die Räder entdeckt. Justin hatte sich die Adresse des Mannes
notiert. Mit ihm wollte er heute als Erstes sprechen. Sein Gehöft lag am Ende
des Wiesenweges, bevor aus dem schmalen, doch zumindest asphaltierten Weg eine
mit Splitt aufgeschüttete Holperpiste wurde. Tjaden hieß der Mann und
telefonisch hatte er sich mehrfach verleugnen lassen. Doch das war Justin
Belfort gewohnt. Er wusste, wenn er etwas erreichen wollte, dann blieb ihm
nicht viel anderes übrig, als bei den Leuten aufzutauchen und nicht mehr zu
weichen, ehe er alles erfahren hatte, was er wissen musste.
Er holte seinen Schlüssel aus der Hosentasche, doch noch bevor
er seinen Wagen aufgeschlossen hatte, heulte der Motor eines anderen Autos auf.
Ein Streifenwagen bremste unmittelbar neben ihm. Ein uniformierter Beamter,
Mitte fünfzig vielleicht und mit graumelierten Haaren, stieg aus. Der Polizist
war alleine unterwegs.
»Guten Morgen, der Herr«, grüßte der Beamte. »Ich dürfte wohl
einmal Ihre Papiere sehen.«
»Habe ich etwas angestellt?«, fragte Justin Belfort.
»Das weiß ich erst, wenn ich weiß, wer Sie sind.«
Justin Belfort holte seine Geldbörse aus der Hosentasche und
entnahm seinen Personalausweis.
Der Beamte überflog den Ausweis und wies auf den Wagen. »Das
ist Ihr Fahrzeug?«
Justin Belfort nickte.
»Dann haben Sie bestimmt auch einen Fahrzeugschein.«
»Sicher.« Justin öffnete die Wagentür und zog das Dokument
hinter der Sonnenblende hervor.
Der Polizist musterte es und trat vor den Wagen, um das
Kennzeichen im Schein mit dem des Fahrzeuges zu vergleichen.
»Hier steht Direkt Medien GmbH, Hannover«, sagte der
Beamte spitz. »Ich dachte, das ist Ihr Wagen, aber Ihren Namen kann ich hier
weit und breit nicht finden.«
»Das ist ein Dienstwagen, der mir zugeteilt ist. Ich arbeite
für die Firma.«
»Und was tun Sie hier, Herr Belfort, wenn ich fragen darf?«
Justin Belfort steckte den Personalausweis wieder ein, den ihm
der Polizist reichte. »Ich arbeite.«
»Gehört es zu Ihrer Arbeit, dass Sie hier herumstreunen und
alles fotografieren, was Ihnen vor die Linse kommt? Eine sonderbare Arbeit,
finden Sie nicht?«
»Hören Sie, Herr
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