Der Sohn des Apothekers (German Edition)
würde und er nun
nicht, nachdem er Stunden oder sogar Tage überlebt hatte, jämmerlich ersaufen
musste.
Wie lange lag er nun schon hier, wie lange hatte er überlebt,
wie viele Stunden hatte er diesen heimtückischen Angriff im Wald überstanden?
So sehr er sich auch den Kopf zermarterte, er wusste es nicht.
Wenn einen Tag und Nacht die Dunkelheit umgab, ging jegliches Gefühl für Raum
und Zeit verloren. Er wusste nur, dass es sich um eine alte Torfgrube handeln
musste, in der er lag, und dass der Deckel seines Grabes aus massiven
Holzbohlen bestand, die unglaublich schwer, wahrscheinlich sogar noch mit Erde
bedeckt waren. Doch er hatte beschlossen, zu überleben und sich durch die Erde
nach draußen in die Freiheit zu graben. Und offenbar hatte Gott sein heimliches
und lautloses Flehen erhört, denn er hatte den Regen geschickt. Stück um Stück
des Erdreiches wurde weggespült und seine Finger tasteten sich immer weiter in
die glitschige und glibberige Finsternis vor, bis sie an eine Wurzel stießen.
Er fluchte, doch die lauten Worte brachten den Schmerz zurück, den er verdrängt
hatte. Kraftlos sank er zurück.
Viel Platz war nicht in seinem engen Verlies – wenn er auf der
Seite lag, streiften seine Schulter den hölzernen Sargdeckel. Nachdem er ein
paarmal durchgeatmet hatte, richtete er sich auf und grub sich weiter voran
durch die feuchte Erde. Dem Wurzelwerk wich er aus. Wenn es ihn auch zwang,
seine Grabungen ein ganzes Stück weiter unten zu versuchen, so war zumindest
wieder etwas Essbares in seine Nähe gerückt.
Das eindringende Wasser floss zu seinen Beinen hin ab, offenbar
gab es in der Gruft ein für ihn unmerkliches Gefälle. Und wiederum dankte er
Gott, dass man ihn nicht anders herum in das Grab gelegt hatte, denn so langsam
umschloss das Wasser seine Beine und stieg zu den Zehen hin an. Er atmete auf,
als das Prasseln der Regentropfen nachließ und schließlich gänzlich verstummte.
*
»Zielperson geht die Juliusstraße hinunter, Richtung Stresemannstraße«,
quakte es aus dem Funkgerät. »Dunkles T-Shirt, Jeans und weiße Turnschuhe.«
»Elbe 1 hat klar«, bestätigte der Einsatzleiter. »Lasst ihn
laufen, hier sind zu viele Menschen unterwegs. Elbe 7 und Elbe 8 übernehmen die
Verfolgung.«
Die Streife bestätigte. Acht weitere Fahndungsteams des Mobilen
Spezialkommandos waren an der Aktion beteiligt. Am frühen Morgen hatten
Kollegen der Streife das Fahrzeug des Verdächtigen im Schanzenviertel entdeckt
und nicht mehr aus den Augen gelassen. Joksim Mrda war ein gefährlicher und
polizeibekannter Gewaltverbrecher, der schon mehrere Körperverletzungsdelikte
auf dem Kerbholz hatte. Doch diesmal wurde er wegen Mordes gesucht und dem Einsatzleiter
war klar, dass sich Joshi, wie er in den einschlägigen Kreisen genannt wurde,
nicht so leicht festnehmen lassen würde. Bei der Überprüfung über das Ausländeramt
hatten die Ermittler zudem festgestellt, dass der serbische Staatsangehörige
mit einem Haftbefehl zur Abschiebung gesucht wurde und sich illegal in
Deutschland aufhielt. Und jetzt würde man ihn wegen Mordes an Tamara Sygow
festnehmen.
Der Kleinbus stand abseits der Juliusstraße in einem Hinterhof
und wurde von zwei Fahndern nicht mehr aus den Augen gelassen. Joshi war
alleine im Wagen gewesen, als er ihn geparkt hatte und die Juliusstraße
hinuntergegangen war. Möglichweise war er sogar bewaffnet, deswegen wollte der
Einsatzleiter des Mobilen Einsatzkommandos kein Risiko eingehen. Der Zugriff
sollte erfolgen, wenn die Gefahr für Passanten, aber auch für die Einsatzkräfte
selbst so gering wie möglich war. Doch das würde wohl noch eine Weile dauern,
denn Joshi hatte die belebte Stresemannstraße überquert und den Weg in Richtung
Bahnhof eingeschlagen.
»Elbe 1 von Elbe 3«, quakte es aus dem Funkgerät. Der
Einsatzleiter wusste sofort, dass es sich um die Streife handelte, die Joshis
VW-Bus beobachtete. »Person nähert sich Zielfahrzeug und schließt Tür mit einem
Schlüssel auf.«
Der Einsatzleiter schaute
seinen Fahrer fragend an, ehe er den Funkhörer wieder aufnahm. »Wie kann das
sein, die 7 und die 8 sind doch an dem Kerl dran«, murmelte er, ehe er die
Observationseinheit rief. »Elbe 3, ist die Person identifiziert?«
»Negativ«, bekam er zur Antwort. »Junger Mann, weißes
Kapuzenshirt und Jogginghose, schätzungsweise zwanzig Jahre alt. Steigt ein und
startet Motor. Erbitten Anweisung.«
»Verdammt«, stöhnte der Einsatzleiter und warf einen Blick
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