Der Sohn des Apothekers (German Edition)
umgestürzten Stuhl wieder
aufgehoben hatte.
Blessing setzte sich, während Trevisan eine weitere Folie
auflegte, auf der eine Landkarte abgebildet war.
»Der Vorfall mit den beiden Mädchen ereignete sich nahe
Tennweide. Der Rucksack wurde am Walsroder Dreieck aufgefunden, das sind rund
fünfzig Kilometer. Damals ging die Soko in Abstimmung mit der
Staatsanwaltschaft davon aus, dass vermutlich reisende Täter für das Verbrechen
an den beiden jungen Frauen in Frage kommen und da die DNA-Spur niemandem
zugeordnet werden konnte und es damals auch noch keine funktionierende
DNA-Datei gab, wurde der Fall gegen Unbekannt eingestellt. Damals spielte ein
weißer VW-Bus mit einem ausländischen, vermutlich dänischen Kennzeichen eine
Rolle, wenngleich diese Spur auch nie bis zum Ende verfolgt wurde.«
Trevisan nahm die Landkarte vom Tageslichtprojektor und legte
dafür das Bild der jungen Frau aus dem Flensburger Krankenhaus auf.
»Im letzten Monat wurde dann nahe Flensburg eine junge Frau
mitten auf einer Bundesstraße schwer verletzt aufgefunden. Zunächst dachte man
an einen Verkehrsunfall. Die medizinischen Sachverständigen stellten jedoch ein
Verletzungsmuster fest, das darauf hindeutete, dass die junge Frau bei relativ
hoher Geschwindigkeit aus einem fahrenden Wagen geworfen wurde. Ein Bus oder
Van käme als Tatfahrzeug in Frage. Aufgrund der DNA-Bestimmung der bis dato
unbekannten jungen Frau stellten die Kollegen eine Übereinstimmung mit dem
Muster unserer verschwundenen Radfahrerin Tanja Sommerlath fest, so dass auch
wir zunächst davon ausgingen, dass die Mädchen damals nicht ermordet, sondern
möglicherweise verschleppt worden sind. Ermittlungen in Dänemark führten dazu,
dass eine Rockerbande in Padborg ausgehoben werden konnte. Nur leider fanden
wir absolut keine Hinweise, dass diese Bande etwas mit dem damaligen Verbrechen
zu tun haben könnte. Dafür wurden aber Zeugen ausfindig gemacht, die sich zum
damaligen Tatzeitpunkt in Tatortnähe aufgehalten haben. Sie waren in einem
weißen VW-Bus mit dänischer Zulassung unterwegs gewesen. Ein Ehepaar aus der
Nähe von Esbjerg, das zwar selbst keine Personen oder gar die beiden
Radfahrerinnen gesehen hat, aber sie hatten sich auf der Suche nach einem
Campingplatz in dem Waldstück bei Tennweide verfahren. Bei ihrer Irrfahrt
entdeckten sie ein Feuer auf einer Lichtung nahe des Bannsees. Die damalige
Soko schien der Bus nicht sonderlich zu interessieren.«
»Wir haben mehrmals beim BKA angefragt. Aber dort erhielten wir
die Auskunft, dass es vermutlich zu wenige Details für gezielte Nachforschungen
der dänischen Behörden gab«, setzte sich Blessing zur Wehr, der sich nach
Trevisans Ausführungen wohl inzwischen persönlich angegriffen fühlte.
»Weiterhin wurde inzwischen ermittelt, dass es sich bei dem
verschwundenen Mädchen mit dem Namen Tanja Sommerlath um ein Adoptivkind
handelt.«
»Das hat doch nichts mit dem
Fall zu tun! Ob leiblich oder Adoptivkind, wo ist da der Unterschied?«, wandte
Blessing ein.
»Das Mädchen, das bei Flensburg aufgefunden wurde und
inzwischen verstorben ist, war die Zwillingsschwester von Tanja Sommerlath. Sie
hieß Tamara Sygow und ihr Mörder wurde inzwischen bei einem Drogengeschäft in
Hamburg festgenommen. Zwar schweigt der Mann noch, aber sein Komplize singt
dafür wie eine Nachtigall. Diese Tamara Sygow war süchtig und hat ihrem
Lebensgefährten, einem vorbestraften Drogendealer aus dem Hamburger
Schanzenviertel, einen großen Deal versaut, so dass er sie kurzerhand aus dem
Wagen warf.«
Blessing schüttelte den Kopf. »Das ist doch Blödsinn –
Zwillinge! Soweit ich weiß, dürfen Zwillinge gar nicht getrennt zur Adoption
freigegeben werden.«
»Grundsätzlich stimmt das«, schaltete sich Hanna Kowalski ein.
»Aber bei den beiden war das anders. Tamara kam schwerkrank zur Welt und die
Ärzte gingen davon aus, dass das kleine Mädchen sterben wird. Da bei der zuständigen
Fürsorgestelle ein Adoptionsantrag vorlag, gab man die kleine Tanja zur
Adoption frei. Auch Behörden machen zuweilen Fehler.«
»Nur hat Tamara überlebt«, fuhr Trevisan fort. »Es liegt also
keine Entführung vor, der Fall ist ganz anders gelagert.«
»Da haben wir aber immer noch den Rucksack, der weit vom
vermeintlichen Tatort entfernt aufgefunden wurde«, gab der Oberstaatsanwalt zu
bedenken.
»Den kann man dort bewusst platzieren, wenn man allzu
leichtgläubige Polizisten täuschen will«, entgegnete Trevisan.
»Was wollen Sie
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