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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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trug nicht länger die einfache Kleidung, die ich an ihr auf ihrer Wanderschaft gesehen hatte, sondern herrschaftliche Gewänder. Außerdem hatte sie sich das Gesicht geschminkt – möglicherweise um die Hautflecken zu verbergen, die ihre Schönheit beeinträchtigten. Jedenfalls sah sie gut aus. Selbst der Cuilóntli Nochéztli, bestimmt kein Bewunderer von Frauen, hatte sie zu Recht als ›sehr hübsch und anziehend‹ beschrieben. Doch mir fiel sofort auf, daß sie immer noch die kalten Augen und das Lächeln einer Echse hatte. Und sie benutzte wie früher ihren Namen oder sagte ›sie‹ beziehungsweise ›ihr‹, wenn sie von sich selbst sprach, als beziehe sie sich auf eine Fremde, die nichts mit ihr zu tun hat.
    »Wir treffen uns also wieder, Tenamáxtli«, sagte sie fröhlich. »G’nda Ké wußte natürlich von deiner Reise hierher, und sie war sicher, du würdest unterwegs den unrechtmäßigen Machthaber Yeyac überwältigen. Ach, und die liebe Pakápeti! Du wirst hübsch aussehen, wenn deine Haare länger sind! G’nda Ké freut sich so sehr, euch beide zu sehen. Sie kann es kaum erwarten …«
    »Sei still!« fuhr ich sie an. »Bring mich zu Améyatl!« Sie zuckte mit den Schultern und führte mich mit Zehenspitze im Gefolge in das obere Stockwerk des Palastes, aber nicht zu Améyatls früherem Gemach. G’nda Ké schob eine dicke Stange an einer schweren Tür zur Seite, hinter der sich ein fensterloser Raum befand, der nicht viel größer als ein Dampfbad war und schlecht roch, weil er geschlossen gehalten wurde. Es gab nicht einmal eine Öllampe, um das Dunkel zu erhellen. Ich nahm ihr die Stange ab, damit sie nicht auf die Idee kam, mich ebenfalls einzusperren, und sagte: »Hol mir eine Fackel. Dann bringst du Zehenspitze in ein anständiges Gemach, damit sie sich reinigen und wie eine Frau kleiden kann. Anschließend kommst du sofort hierher zurück, du Schlange, damit ich dich im Auge behalten kann.«
    Mit der brennenden Fackel betrat ich den kleinen Raum. Der Gestank war so unerträglich, daß es mich beinahe würgte. Das einzige, was ich sah, war ein voller Axixcáli-Topf.
    In einer Ecke regte sich etwas auf dem Steinfußboden. Es war Améyatl. Mühsam richtete sie sich auf. Ich erkannte sie kaum wieder. Ihr abgezehrter Körper war in schmutzige Lumpen gehüllt, die Haare waren verfilzt, das Gesicht war aschgrau, sie hatte hohle Wangen und dunkle Ringe um die Augen. Sie war einmal die schönste Frau von ganz Aztlan gewesen!
    Doch ihre Stimme klang nicht schwach, sondern fest und würdevoll, als sie sagte: »Ich danke allen Göttern, daß du gekommen bist, Vetter. Ich habe nicht umsonst gewartet und die vielen langen Monate gebetet …«
    »Still, Améyatl«, unterbrach ich sie erschüttert. »Spar die Kraft, die du noch besitzt. Wir sprechen später miteinander. Ich bringe dich in dein Gemach, damit man sich um dich kümmert, dich badet, dir etwas zu essen bringt und du dich ausruhst. Danach haben wir über vieles zu reden.«
    In ihrem Gemach warteten mehrere Dienerinnen. An einige konnte ich mich von früher erinnern. Alle wichen meinem Blick aus. Ich schickte sie mit knappen Worten davon. Améyatl und ich schwiegen, bis G’nda Ké mit Zehenspitze zurückkam, die wie eine Prinzessin gekleidet war.
    Die Yaki-Frau versuchte, die Lage durch betonte Heiterkeit zu entschärfen. Sie sagte: »Alle neuen Kleider von G’nda Ké passen Pakápeti, bis auf die Sandalen. Wir mußten ein Paar suchen, die klein genug für sie sind.« Im Plauderton fuhr sie fort: »Nachdem G’nda Ké einen so großen Teil ihres Lebens zu Fuß und oft sogar barfuß unterwegs gewesen ist, legt sie jetzt großen Wert auf eine Unmenge von Schuhen. Sie ist dankbar dafür, Yeyac als ihren Wohltäter gehabt zu haben, auch wenn sie ihn in anderer Hinsicht widerwärtig fand, denn durch ihn konnte G’nda Ké ihrer Liebe zu Schuhen frönen. Sie hat ganze Schränke voll. Sie kann jeden Tag ein anderes Paar Sandalen …«
    »Hör mit dem dummen Geschwätz auf!« unterbrach ich sie und machte Améyatl und Zehenspitze miteinander bekannt. »Dies ist meine schwer mißhandelte liebe Cousine Améyatl. Da ich keinem Menschen im Palast traue, bitte ich dich, Pakápeti, für sie zu sorgen. Sie wird dir zeigen, wo das Dampfbad ist, wo sich ihre Garderobe befindet und so weiter. Bring ihr aus der Küche unten etwas zu essen, was sie stärkt, und gib ihr süße Schokolade zu trinken. Dann hilf der Armen auf ihr Lager, aber lege viele Steppdecken

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