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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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ich meine du und ich, es einmal gewesen sind. Káuri war, wie soll ich sagen?« Sie seufzte. »Er war schüchtern, wenn es darum ging, Dinge auszuprobieren.«
    »Ich gebe zu«, sagte ich und lächelte bei der Erinnerung, »ich habe bisher noch keine Frau getroffen, die dich in dieser Hinsicht übertroffen hätte.«
    »Es bestehen keine traditionellen oder religiösen Einschränkungen bei Ehen zwischen Geschwisterkindern. Natürlich betrachtest du eine verwitwete Frau möglicherweise als gebrauchte Ware, die deiner nicht würdig ist.« Etwas unzart fügte sie hinzu: »Aber wenigstens müßte ich dich in unserer Hochzeitsnacht nicht mit einem Taubenei und einem verengenden Mittel täuschen.« Plötzlich zischte eine kalte Stimme, die G’nda Ké gehörte: »Wie rührend, die ach so lange getrennten Liebenden erinnern sich und träumen von vergangenen Zeiten.«
    »Du Schlange!« stieß ich zwischen den Zähnen hervor. »Wie lange versteckst du dich schon hier?« Sie beachtete mich überhaupt nicht, sondern sagte zu Améyatl, deren blasses Gesicht sich rosa gefärbt hatte:
    »Weshalb sollte Tenamáxtli überhaupt heiraten, meine Liebe? Er ist der Herr, der einzige Mann unter drei reizvollen Frauen, unter denen er nach Belieben und ganz unverbindlich wählen kann. Eine ehemalige Geliebte, eine derzeitige Geliebte und eine Geliebte, die er noch nicht kennengelernt hat.«
    »Du redest mit gespaltener Zunge, Weib«, sagte ich wutschnaubend. »Selbst deine Bosheiten stecken voller Widersprüche. Gestern abend hast du mich noch einen Cuilóntli genannt.«
    »G’nda Ké freut sich sehr festzustellen, daß sie sich geirrt hat. Aber sie kann natürlich nicht ganz sicher sein, bis du und sie …«
    »Ich habe noch nie im Leben eine Frau geschlagen«, sagte ich. »Jetzt bin ich nahe daran, es zu tun.« Klugerweise wich sie vor mir zurück. Ihr Schlangenlächeln war gleichzeitig entschuldigend und frech. »Vergebt ihr, mein Herr und meine Dame. G’nda Ké hätte nicht gestört, wenn ihr bewußt gewesen wäre … Nun ja, sie ist nur gekommen, um dir, Tenamáxtzin, zu sagen, daß unten in der Eingangshalle eine Gruppe angehender Dienstboten darauf wartet, daß du ihre Anstellung billigst. Einige von ihnen behaupten, dich ebenfalls von früher zu kennen. Aber wichtiger ist, daß du erfährst, die Mitglieder deines Rates haben sich im Thronsaal versammelt.«
    »Die Diener können warten«, sagte ich. »Ich werde gleich zu den Räten kommen. Jetzt möchte ich dich nicht mehr sehen.«
    Selbst nachdem sie das Gemach verlassen hatte, waren meine Cousine und ich so verlegen und verwirrt wie ein junger Mann und ein junges Mädchen, die man nackt und unanständig nahe beieinander ertappt hat. Ich stotterte sogar, als ich Améyatl schließlich bat, mich entfernen zu dürfen, und als sie es mir gestattete, stammelte sie ebenfalls. Niemand hätte geglaubt, daß wir reife Menschen waren und die höchsten Ränge in Aztlan bekleideten.
     
     

19
     
    Die Ratsmitglieder schienen nicht geneigt, mich als einen erwachsenen Menschen zu betrachten, der seines Ranges und ihrer Achtung würdig war. Sie begrüßten mich zwar höflich und verwendeten die Formel ›Mixpantzinco‹, doch einer der alten Männer, in dem ich Tototl, den Häuptling des Dorfes Tépiz, erkannte, begann sofort, ärgerlich zu schimpfen:
    »Sind wir auf Befehl dieses anmaßenden Emporkömmlings in so unschicklicher Eile hierher befohlen worden? Einige von uns kennen dich noch aus der Zeit, als du ein frecher kleiner Junge warst, dem immerzu die Nase lief. Du hast dich damals hier hereingeschlichen und uns bei unseren Ratssitzungen mit deinem Onkel, dem Verehrten Statthalter Mixtzin, beobachtet und belauscht. Selbst als du dich aus Aztlan verabschiedet hast, um mit Mixtzin nach Tenochtitlan zu gehen, warst du noch unreif und unerfahren. Offenbar bist du unerklärlich schnell und hoch aufgestiegen. Wir wollen von dir wissen …«
    »Schweig, Tototl!« unterbrach ich ihn schließlich. Die versammelten Männer hielten die Luft an. »Du wirst ja wohl das Ratsprotokoll kennen, das besagt, daß kein Mann spricht, bevor nicht der Uey-Tecutli die Themen der Beratung verkündet hat. Ich erscheine nicht demütig bei euch und hoffe darauf, daß ihr mich anerkennt oder bestätigt. Ich weiß, wer ich bin – euer rechtmäßiger Uey-Tecútli. Das ist alles, was ihr wissen müßt.« Ein erregtes Gemurmel ging durch den Raum, doch meine Autorität wurde nicht mehr angezweifelt. Ich mochte mir nicht

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