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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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liebten. Ich versuchte, sie zu überreden, mich in die EINE WELT zu begleiten und ihre Tochter, die ich inzwischen als meine eigene betrachtete, mitzunehmen. Ich bestürmte sie mit allen guten Gründen, die mir einfielen. Ich sagte ihr ehrlich, daß ich in meinem Reich das Gegenstück zu ihrer Kukú war und daß sie und Tiripetsi in einem richtigen Palast leben und Diener haben würden. Ich versicherte ihr, es werde ihnen an nichts fehlen, was sie brauchten oder wollten, und ich versprach ihr, sie müsse nie mehr nach Austern tauchen oder Seelöwen der Felle wegen enthäuten, sie müsse nie mehr fürchten, daß Stürme die Inseln verwüsteten, und sich auch nie mehr von Fremden am Strand vergewaltigen lassen.
    »Ach, Tenamáxtli«, sagte sie mit einem bezaubernden Lächeln und einer Geste in Richtung des Lagers, »das hier genügt als Palast, solange du es mit uns teilst.« Ich war nicht ganz so ehrlich, denn ich unterließ es zu erwähnen, daß die Spanier den größten Teil der EINEN WELT besetzt hielten. Die Frauen der Inseln wußten noch nicht, daß es Weiße gab. Offensichtlich hatten auch die Männer aus Yakoreke nicht von den Spaniern gesprochen. Möglicherweise fürchteten sie, die Frauen könnten in der Hoffnung auf neue Geschäfte mit reicheren Händlern ihre Kinucha zurückhalten. Ich konnte nicht sicher sein, daß die Spanier Aztlan nicht bereits unterworfen hatten und mir sozusagen kein Kukudum geblieben war, mit dem ich Grille in die EINE WELT locken konnte. Doch ich war fest davon überzeugt, daß sie und Tiripetsi und ich irgendwo ein neues Leben beginnen konnten. Ich erzählte ihr Geschichten von den vielen schönen, üppig grünen und friedlichen Orten, die ich auf meinen Reisen gesehen hatte und wo wir drei uns niederlassen könnten.
    »Aber Tenamáxtli, die Inseln sind mein Zuhause. Mach sie auch zu deinem Zuhause. Großmutter ist inzwischen an deine Anwesenheit gewöhnt. Sie wird nicht mehr verlangen, daß du gehst. Ist das nicht ein ebenso angenehmes Leben, wie wir es anderswo finden könnten? Die Stürme und die Fremden müssen wir nicht fürchten. Tiripetsi und ich haben bisher alle Unwetter überlebt, und das wirst du auch. Und die Fremden …« Sie lachte auf ihre unbeschreibliche Art. »Ach, du weißt, ich werde nie wieder mit einem von ihnen zusammensein. Ich gehöre dir.«
    Ich versuchte vergeblich, ihr das abwechslungsreichere Leben auf dem Festland vor Augen zu führen – den Überfluß an Nahrung und Getränken, die Zerstreuungen, die Reisen, die Ausbildung unserer Tochter, die Möglichkeiten, neue Menschen kennenzulernen, die sich sehr von allen unterschieden, die sie kannte. »Grille«, sagte ich, »du und ich, wir können dort Kinder bekommen, damit die kleine Tiripetsi nicht allein ist. Sogar Brüder. Hier kann sie nie einen Bruder haben.« Ixinatsi seufzte, als sei sie meiner beharrlichen Bitten überdrüssig, und sagte: »Sie kann nichts vermissen, was sie nie gehabt hat.«
    Ich fragte ängstlich: »Bist du böse auf mich?«
    »Ja, ich bin böse«, sagte sie, aber sie lachte gleich wieder fröhlich und unbekümmert. »Paß auf, ich gebe dir alle deine Küsse zurück.« Sie begann, mich zu küssen, und küßte mich immer wieder, sobald ich versuchte, etwas zu sagen.
    Mit süßem Eigensinn wischte sie jedes meiner Argumente beiseite oder widerlegte es. Eines Tages tat sie das mit dem Hinweis auf meine derzeitige beneidenswerte Lage.
    »Begreifst du nicht, Tenamáxtli, daß jeder Mann vom Festland vor Freude Luftsprünge machen würde, wenn er mit dir tauschen könnte? Hier hast du nicht nur mich, die dich liebt und mit der du schlafen kannst.«
    Ich war kaum geeignet, Moral zu predigen. Ich konnte nur in aller Aufrichtigkeit beteuern: »Aber ich will nur dich!«
    Jetzt muß ich etwas Beschämendes gestehen. Ich begann, ernsthaft an meiner Sache zu zweifeln. Ich war verunsichert und verlor mich immer mehr in der unerschöpflichen Liebe zu dieser einzigartigen Frau. Als mir das eines Morgens bewußt wurde, zog ich mich den ganzen Tag in den Wald zurück, um nachzudenken. Und meine Gedanken zeigten zu meiner Schande, daß ich angesichts der Liebe, die ich gefunden hatte, zum ersten Mal in meinem Leben kapitulierte. Ich will nur sie. Ich bin ihr Gefangener, ich bin von ihr besessen, ich bin in sie vernarrt. Wenn ich sie gegen ihren Willen mitnehme, wird sie mich nicht mehr lieben. Wohin sollte ich sie überhaupt bringen? Was erwartet mich dort? Nur ein blutiger Krieg, nur töten oder

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