Der Sohn des Azteken
sei sie überhaupt nicht neugierig, doch als sie uns beide nackt sah, zog sie die Augenbrauen hoch. Sie sagte zu Ixinatsi: »Es hat geklungen, als hättet ihr euch vergnügt.« Dabei sah sie jedoch mich an.
»Genauso ist es!« erwiderte Grille fröhlich. »Wir haben uns … miteinander vergnügt. Hör zu!« Sie rückte näher und flüsterte der anderen Frau etwas zu, die mich immer noch ansah und deren Augen immer größer wurden. Ich lag da, wurde beschrieben und erörtert, und ich kam mir beinahe vor wie ein bisher unbekanntes Meereswesen, das gerade an den Strand getrieben worden war und eine Sensation hervorrief.
Ich wiederhole, ich liebte Ixinatsi von ganzem Herzen, schon bevor wir uns körperlich liebten. Ich hatte an diesem Abend bereits beschlossen, sie und ihre kleine Tochter mitzunehmen, wenn ich die Insel verließ. Ich würde sie dazu überreden, wenn das möglich war. Nun hatte ich festgestellt, daß Grille für die körperliche Liebe war, und das hatte mich in meinem Entschluß noch bestärkt.
So kam es, daß sich mein Aufenthalt auf den Inseln unbegrenzt verlängerte. Ixinatsi verbreitete die Neuigkeit, daß das Leben tatsächlich mehr bot als Arbeit, Schlaf und das gelegentliche Spielen mit sich selbst. Die anderen Frauen wollten unbedingt das Geheimnis ebenfalls ergründen.
Kukú erhob empört Einwände, doch sie wurde wahrscheinlich zum ersten Mal während ihrer Herrschaft überstimmt. Und sie fand sich mit der neuen Lage ab, als sie feststellte, daß die Frauen merklich besser gelaunt waren und produktiver arbeiteten. Kukú stellte nur eine Bedingung: Das Akuáreni mußte auf die Abende und Nächte beschränkt bleiben. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, denn so konnte ich tagsüber schlafen und wieder zu Kräften kommen.
Ich will hier feststellen, daß ich mich nicht dazu bereit gefunden hätte, wenn Grille auch nur andeutungsweise eifersüchtig oder besitzergreifend gewesen wäre. Ich stimmte hauptsächlich zu, weil sie so glücklich schien, ihre Schwestern aufgeklärt zu haben, und stolz darauf war, daß ›ihr Mann‹ es tat. Um die Wahrheit zu sagen, ich hätte meine ganze Aufmerksamkeit lieber auf sie beschränkt, denn sie war und ist die einzige Frau in meinem Leben, die ich aufrichtig geliebt habe. Und ich wußte, daß sie mich ebenfalls liebte. Selbst Tiripetsi, die anfangs schüchtern war und die die Anwesenheit eines Mannes beunruhigt hatte, mochte mich inzwischen sehr. Außerdem, und das ist wichtig, waren die anderen Frauen der Inseln nicht so wie Ixinatsi. Sie unterschieden sich in nichts von jeder anderen Frau, mit der ich in meinem Leben geschlafen habe. Kurz gesagt, ich war so vernarrt in Grille, daß keine Frau je den Maßstäben gerecht werden konnte, die sie gesetzt hatte. Ich ließ mich nur mit den Frauen ein, weil sie wünschte, daß ich allen zur Verfügung stehe. Das tat ich mehr aus Pflichtbewußtsein als aus heftigem Verlangen und machte sogar eine Art Plan – jede zweite Nacht stand ich für eine der Frauen zur Verfügung, die Nächte dazwischen blieben allein Grille vorbehalten. Und das waren nicht nur Nächte der körperlichen Liebe.
Was Grille anging, so bin ich sicher, sie ahnte nicht, daß sie den anderen Frauen überlegen war. Nichts hätte jemals in ihr die Vermutung wecken können, daß Xochiquétzal sie bei ihrer Geburt gesegnet hatte. Natürlich ist es möglich, daß sie nicht als einzige Frau in der Geschichte der Menschheit von einer Göttin so bevorzugt worden war.
Von nun an würde ich nie mehr eine andere Geliebte suchen oder wollen, und sei sie auch noch so außergewöhnlich, denn ich hatte die außergewöhnlichste von allen.
Ich hätte sehr wohl die Übersicht darüber verlieren können, wie vielen Frauen ich Unterricht gab, wenn ich für meine Dienste nicht entschädigt worden wäre. Ich besaß schließlich fünfundsechzig Perlen, die größten und vollkommensten aus der Ernte des Jahres. Das hatte ich Grille zu verdanken. Sie bestand darauf, weil sie fand, daß es nur gerecht sei, wenn meine Schülerinnen mich jeweils mit einer Perle belohnten.
Nachdem ich allen in Frage kommenden Mädchen und Frauen mindestens einmal zu Diensten gewesen war und kein so dringendes Bedürfnis mehr nach mir bestand, fuhren die Frauen selbständig fort, die zahlreichen Möglichkeiten zu erforschen, mit denen sie sich Genuß verschaffen konnten.
In all dieser Zeit bemühte ich mich eifrig um Ixinatsi – nicht um ihre Liebe, denn wir wußten, daß wir uns
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