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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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getötet werden. Warum soll ich nicht tun, was sie sagt, und auf diesen schönen Inseln bleiben?
    Hier hatte ich Frieden, Liebe und Glück. Die anderen Frauen beanspruchten mich immer weniger, nachdem der Reiz des Neuen verflogen war. Ixinatsi, Tiripetsi und ich konnten eine eigenständige, unabhängige Familie bilden. Da ich mit einer der geheiligten Traditionen der Inseln gebrochen hatte und hier lebte, was noch keinem Mann zuvor gestattet worden war, glaubte ich, auch andere Regeln brechen zu können. In meinem Fall hatte niemand auf die alte Kuku gehört, und sie würde ohnehin nicht ewig leben. Ich hatte die große Hoffnung, die Frauen von ihrer männerhassenden Göttin Neumond abzubringen und sie zur Verehrung der freundlicheren Coyolxaúqui, der Göttin des großherzigen Vollmondes, zu bekehren. Ich schwor, daß Knaben nach der Geburt nicht länger den Austern gefüttert würden. Grille und ich und all die anderen durften Söhne haben. Ich würde schließlich der Patriarch eines Inselreiches und sein gütiger Herrscher sein.
    Die Spanier mochten inzwischen sehr wohl die gesamte EINE WELT überrannt haben, und ich konnte nicht hoffen, etwas zu erreichen, wenn ich dorthin zurückkehrte. Hier würde ich meine eigene EINE WELT haben, und es konnten viele Jahre vergehen, bis Spanier, die weiter ins Unbekannte vorstießen, die Inseln zufällig entdeckten. Selbst wenn die Weißen so weite Teile des Festlands unterworfen hatten oder irgendwann unterwarfen, daß es den Fischern von Yakóreke nicht mehr möglich war, zu den Inseln zu fahren, würden sie deren Lage bestimmt nicht verraten. Wenn sie nicht mehr kamen, nun, ich kannte den Weg zur Küste. Ich und später meine Söhne konnten verstohlen zur Küste paddeln, um die lebensnotwendigen Dinge wie Messer, Kämme und so weiter zu beschaffen, die mit Perlen bezahlt werden mußten … So schändlich dachte ich darüber nach, die Mission aufzugeben, die mich all die Jahre erfüllt hatte, seit ich Zeuge geworden war, wie man meinen Vater verbrannt hatte. Diese Mission hatte mich auf viele Straßen, in viele Gefahren und viele Abenteuer geführt. So verräterisch versuchte ich, mich zu rechtfertigen. Ja, ich gestehe, ich wollte meinen Plan aufgeben. Ich wollte darauf verzichten, meinen Vater zu rächen und alle anderen meines Volkes, die durch die Weißen gelitten hatten. So schändlich versuchte ich, mir Entschuldigungen dafür auszudenken, daß ich bereit war, die vielen Menschen zu vergessen. Citláli und ihr Kind Ehécatl, die tapfere Pakápeti, den Cuachic Comitl, den Tícitl Ualíztli und die vielen anderen, die das Leben verloren hatten, als sie mich dabei unterstützten, mein Ziel zu erreichen und Rache zu nehmen.
    So verabscheuenswürdig suchte ich nach guten Gründen dafür, den Ritter Nochéztli und mein unter großen Mühen, Gefahren und Schwierigkeiten zusammengestelltes Heer, ja, alle Völker der EINEN WELT im Stich zu lassen …
    Ich schäme mich seit diesem Tag, daß ich auch nur daran dachte, eine solche Schande über mich zu bringen. Ich hätte auf den Inseln der Frauen das Rennen verloren, das ich nie gelaufen war.
    Heute bezweifle ich, daß ich lange mit meiner Schande hätte leben können, wenn ich mich tatsächlich Ixinatsis Liebe und den Annehmlichkeiten der Inseln überlassen hätte. Ich hätte mich zuerst selbst gehaßt. Dann hätte sich mein Haß auf Grille ausgedehnt, weil sie mich so weit gebracht hatte, daß ich mich haßte. Was ich vielleicht aus Liebe getan hätte, wäre der Tod dieser Liebe gewesen.
    Zu meiner größten Schande kann ich nicht einmal voll Überzeugung behaupten, ich sei nicht bereit gewesen, auf meine Mission und auf meine Ehre zu verzichten, denn wie es das Schicksal wollte, trafen die Götter die Entscheidung an meiner Stelle.
    Ich kehrte vor Einbruch der Dämmerung ans Meer zurück. Die Taucherinnen wateten gerade mit den letzten Körben des Tages an den Strand. Ixinatsi war unter ihnen, und als sie sah, daß ich sie erwartete, rief sie fröhlich und mutwillig und mit einem vielsagenden Lächeln: »Ich glaube, mein Liebling Tenamáxtli, ich schulde dir zumindest noch eine Kinú. Ich werde auf der Stelle tauchen und dir die Kukú aller Perlen bringen.«
    Sie drehte sich um und schwamm zum nächsten Felsen, auf dem sich ein paar Seelöwen träge den glänzenden Pelz von den letzten schrägen Sonnenstrahlen wärmen ließen.
    Ich rief ihr nach: »Komm zurück, Grille! Ich will mit dir reden.«
    Sie hat mich nicht gehört.

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