Der Sohn des Azteken
Richtung. Ich sollte jeden Tag mit gleichbleibender, aber nicht zu großer Geschwindigkeit geradewegs nach Osten paddeln. Sie setzte voraus, daß ich einen östlichen Kurs halten konnte, und sagte, in den Anweisungen sei berücksichtigt, daß das Acáli nach Süden abtreibe, während ich nachts schlafe. Am vierten Tag komme ein Dorf an der Küste in Sicht. Grille kannte den Namen nicht, aber ich zweifelte nicht daran, daß es Yakóreke sein mußte. Am Abend, der nach dem Willen der Kuku mein letzter sein sollte, saßen Grille und ich nebeneinander an den umgestürzten Baumstamm gelehnt, unter dem sich zwei Lager befanden, und ich fragte sie: »Ixinatsi, wer war dein Vater?«
Sie erwiderte: »Wir haben keine Väter. Wir haben nur Mütter und Töchter. Meine Mutter ist tot, und meine Tochter kennst du.«
»Aber deine Mutter kann dich nicht gezeugt haben. So wenig wie du deine Tiripetsi. Irgendwann und irgendwie muß in beiden Fällen ein Mann beteiligt gewesen sein. Ohne einen Mann kann eine Frau kein Kind empfangen.«
»Ach das«, sagte sie wegwerfend. »Akuáreni. Ja, die Männer kommen einmal im Jahr und tun das.«
Ich sagte: »Das war also mit den ersten Worten gemeint, die du an mich gerichtet hast. Du hast gesagt, ich sei zu früh gekommen.«
Sie nickte. »Ja. Die Männer stammen aus dem Dorf auf dem Festland, zu dem du fährst. Sie kommen im achtzehnten Monat des Jahres für einen einzigen Tag. Ihre Kanus sind mit Fracht vollgeladen. Wir nehmen uns alles, was wir brauchen, und tauschen es gegen Kinucha ein. Eine Kinu für einen guten Kamm aus Schildpatt oder Knochen, zwei Kinucha für ein Obsidianmesser oder eine geflochtene Angelschnur …«
»Ayya!« unterbrach ich sie. »Ihr werdet schamlos betrogen! Die Männer tauschen diese Perlen für einen unzählige Male höheren Wert ein, und der nächste, der übernächste und der überübernächste Verkäufer machen ebenfalls hohe Gewinne. Wenn die Perlen durch die vielen Hände zwischen hier und den Märkten in den Städten gewandert sind, dann …«
Grille zuckte die im Mondlicht bezaubernd und verführerisch schimmernden nackten Schultern. »Die Männer könnten die Kinúcha haben, ohne überhaupt etwas dafür zu bezahlen, wenn Xarátanga erlauben würde, daß sie tauchen lernen. Durch den Tauschhandel bekommen wir, was wir brauchen und wollen. Was können wir mehr verlangen? Nachdem alles getauscht worden ist, versammelt Kukú die Frauen, die eine Tochter haben wollen, und ruft auch jene, die sich nicht danach drängen, wenn sie entscheidet, sie seien an der Reihe. Dann wählt Kukú die kräftigeren Männer aus. Die Frauen warten am Strand, und die Männer machen dieses Akuáreni, das wir über uns ergehen lassen müssen, wenn wir Töchter haben wollen.«
»Du sagst immer Töchter. Ihr könnt doch nicht verhindern, daß auch Knaben geboren werden.«
»Ja, ein paar …« Sie schüttelte den Kopf. »Die Göttin Neumond hat entschieden, daß dies die Inseln der Frauen sind, und es gibt nur einen Weg, um sicherzustellen, daß das auch so bleibt. Alle von der Göttin nicht geduldeten Knaben werden sofort nach der Geburt ertränkt.«
Sie mußte selbst im Dunkeln meinen Gesichtsausdruck gesehen haben. Doch sie deutete ihn falsch und fügte hastig hinzu: »Das ist keine Verschwendung, wie du vielleicht glaubst. Ihre Körper dienen den Austern als Nahrung, und damit finden sie eine sehr nützliche Verwendung.«
Als Mann konnte ich der unbarmherzigen Säuberung unter den Neugeborenen kaum Beifall zollen. Andererseits hatte diese Regel wie die meisten von den Göttern befohlenen Dinge die Reinheit und Klarheit des Schlichten. Die Inseln bleiben das Reich der Frauen, indem man die Austern füttert, von deren Herzen die Inselbewohnerinnen abhängig sind.
Grille fuhr fort: »Meine Tochter ist beinahe alt genug, um mit dem Tauchen anzufangen. Deswegen erwarte ich, daß Kukú mir befehlen wird, mit einem der Männer Akuáreni zu machen, wenn sie das nächste Mal kommen.«
»Das klingt, als mache es dir ungefähr soviel Spaß, wie von einem Seeungeheuer angegriffen zu werden«, bemerkte ich leicht ungehalten. »Liegt denn keine von euch jemals zum reinen Vergnügen mit einem Mann zusammen?«
»Vergnügen?« rief sie. »Was für ein Vergnügen kann das sein? Es ist ein Gefühl, als hätte man an der falschen Stelle Verstopfung.«
»Ihr Frauen ladet euch ja reizende Männer ein«, murmelte ich vor mich hin und sagte dann laut: »Meine liebe Ixinatsi, was du
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