Der Sohn des Azteken
überredet, heißer zu scheinen und alles zu verbrennen. Was immer der Grund dafür sein mag, unsere Wettergötter verhalten sich seit der Ankunft der Crixtanóyotl-Gottheiten sehr merkwürdig.«
»Eine Frage, lieber Pochotl«, sagte ich und wechselte das Thema. »Ich hoffe, hier Arbeit zu finden. Ich will kein Vermögen verdienen, sondern suche eine Arbeit, die soviel einbringt, wie ich zum Leben brauche. Ist das möglich?«
Der magere Mann musterte mich von Kopf bis Fuß. »Besitzt du besondere Kenntnisse, junger Mann? Kannst du zum Beispiel die Sprache der weißen Männer schreiben? Beherrschst du ein Handwerk? Hast du vielleicht künstlerische Fähigkeiten?«
»Nichts von alldem. Nein.«
»Gut«, sagte er ernst. »Dann wirst du schwere Arbeit annehmen müssen, etwa Steinblöcke und Körbe voll Mörtel für die neuen Gebäude schleppen. Du kannst dich als Tamemi-Träger verdingen oder die Kanäle von Schlamm, Exkrementen und Abfällen säubern. Solche Arbeiten bringen nicht viel ein. Aber wenn du bescheiden bist und mit wenig leben kannst …«
»Ich hatte gehofft, eher etwas …«
Onkel Mixtzin unterbrach mich. »Freund Pochotl, du bist ein Mann, der sich gewählt auszudrücken vermag. Ich bin sicher, du bist intelligent, ja sogar gebildet. Mir fällt auf, daß du die Spanier nicht liebst. Warum lebst du dann von ihren Almosen?«
Pochotl seufzte. »Ich war ein Meisterschmied für Gold und Silber. Ich habe Schmuck, Halsketten, Armreifen, Lippenpflöcke, Stirnbänder und Fußspangen hergestellt. Aber die Spanier haben dafür keine Verwendung. Sie schmelzen ihr Gold und Silber zu langweiligen Barren, die sie ihrem König schicken, oder sie schlagen daraus häßliche Münzen. Glaubt mir, es sind Barbaren! Ihre anderen Metalle, die sie Eisen, Stahl, Kupfer und Bronze nennen, übergeben sie den Grobschmieden, die sie zu Hufeisen für die Pferde, Panzerplatten, Schwertern und ähnlichem verarbeiten.«
Mixtzin fragte: »Warum kannst du das nicht auch tun?«
»Das könnte jeder Trottel, der genug Muskeln hat. Aber solche Arbeit ist unter meiner Würde. Wenn meine Hände Schwielen bekommen und meine Finger verkrümmen, habe ich alle meine Kunstfertigkeit verloren.« Er starrte trübsinnig vor sich hin. »Eines Tages wird es vielleicht wieder anständige Arbeit für mich geben.« Ich hörte inzwischen nur noch mit halbem Ohr zu. Ich saß mit gekreuzten Beinen auf meinem Lager, das nach zahllosen ungewaschenen Schläfern stank, und dachte über die wenig verlockenden Arbeiten nach, von denen dieser Mann redete. Ich hatte mir geschworen, alles zu tun, was die Götter verlangen mochten, wenn es meiner Rache an den weißen Männern förderlich wäre. Diesen Schwur würde ich halten. Die Aussicht auf schwere und schlecht bezahlte Arbeit schreckte mich nicht. Doch der Zweck meines Aufenthaltes in dieser Stadt bestand darin, eine bislang unbemerkte Schwäche der spanischen Herrschaft zu entdecken, einen blinden Fleck in ihrer angeblich jeden Aufruhr voraussehenden Kampfbereitschaft. Es erschien mir unwahrscheinlich, daß ich viel und erfolgreich spionieren konnte, wenn ich die meiste Zeit mit anderen Arbeitern in einem Kanalgraben verbrachte oder gebeugt Lasten mit dem Stirnriemen schleppte. Vielleicht konnte mir der Notarius Alonso de Molina eine bessere Arbeit verschaffen, bei der ich mehr Gelegenheit haben würde, meine Augen, Ohren und Instinkte zu gebrauchen. Pochotl sagte gerade zu meinem Onkel: »Die Weißen haben uns viele neue und sehr schmackhafte Dinge zum Essen gebracht. Ihr Huhn hat zum Beispiel sehr viel zarteres und saftigeres Fleisch als unser großes Huaxolómi. Sie nennen es Gallipavo oder Truthahn. Auch bauen sie ein Rohr an, aus dem man ein Pulver namens Zucker gewinnt. Es ist sehr viel süßer als Honig oder Kokosnuß-Sirup. Und sie haben eine neue Art Bohnen, die Haba, mitgebracht, außerdem andere Arten Gemüse, wie Kohl, Artischocke, Salat und Rettich. Das sind gute Dinge für jemanden, der sie entweder kaufen kann oder noch ein Stück Land hat, auf dem er sie anbaut. Aber ich bin der Meinung, die Spanier haben hier bei uns sehr viel mehr gefunden. Sie schwärmen von unserem Xitómatl, von Chocólatl und Ahuácatl, die es, wie sie sagen, in Altspanien nicht gibt. Und sie lernen auch, Genuß am Picietl-Rauchen zu finden.«
Allmählich nahm ich in dem dunklen Raum etliche Stimmen wahr; auch andere Männer blieben wach und unterhielten sich wie Onkel Mixtzin und der magere Mann. Die meisten sprachen
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