Der Sohn des Azteken
ein Dach über dem Kopf haben und sind vielleicht bereit, es mit einem ehemaligen Nachbarn zu teilen.«
»Ja.« Onkel Mixtzin nickte. »Tototl hat mir ihre Namen gegeben. Der Mann heißt Netzlin und seine Frau Citláli. Ja, wenn du sie findest …«
»Dann darf ich also bleiben?«
»Aber Tenamáxtli!« jammerte meine Mutter. »Du könntest eines Tages die Gewohnheiten der weißen Männer gut finden und übernehmen …«
Ich schnaubte: »Das ist nicht wahrscheinlich, Tene. Ich werde hier der Wurm in einer Coyacapúli-Frucht sein. Sie wird mich nur so lange nähren, bis sie selbst ausgehöhlt und tot ist.«
Wir erkundigten uns bei Vorübergehenden nach einem Ort, wo wir die Nacht verbringen könnten, und einer der Befragten führte uns zum Haus der Pochtéca. Es war der Versammlungsraum und das Lagerhaus für die reisenden Händler, die ihre Waren in die Stadt brachten. Doch der Türsteher weigerte sich höflich, aber entschlossen, uns eintreten zu lassen.
»Das Haus ist den Pochtéca vorbehalten«, sagte er, »und ihr seid keine Händler, denn ihr tragt keine Bündel bei euch und führt auch keinen Zug von Tamemime-Trägern an.«
»Wir suchen lediglich einen Platz zum Schlafen«, knurrte Onkel Mixtzin.
»Ich kann euch nicht helfen«, erklärte der Türsteher. »Früher war das Haus der Pochtéca beinahe so groß und prächtig wie ein Palast. Aber es wurde wie der Rest der Stadt abgerissen. Dieses Haus ist nur ein ärmlicher Ersatz. Es ist klein, und deshalb gibt es keinen Platz für Leute, die nicht Mitglied der Gilde sind.«
»Aber wo finden Besucher in dieser gastfreundlichen Stadt eine Unterkunft?«
»Es gibt eine Herberge, eine Mesón, wie die Spanier sagen. Sie gehört der christlichen Kirche, und dort können Reisende und Bedürftige unterkommen und werden beköstigt. Es ist die Mesón de San José.« Der freundliche Mann erklärte uns, wie wir das Haus finden würden. Mein Onkel stieß zwischen den Zähnen hervor: »Bei Huitzli, schon wieder einer ihrer unbedeutenden Santos!« Aber wir machten uns auf den Weg dorthin. Die Herberge war ein großes, aus Ziegelsteinen errichtetes Haus, der Anbau eines noch größeren und sehr viel massiveren Gebäudes, des Colegio de San José. Ich erfuhr später, daß das Wort Colegio in etwa dasselbe bedeutet wie unsere Calmécac – eine Schule für fortgeschrittene Schüler, die von Priestern unterrichtet werden. In diesem Falle handelte es sich selbstverständlich um christliche Priester. Die Herberge wurde von Männern geführt, die wir für Priester hielten, bis uns ein paar Leute erklärten, es seien nur Mönche, eine niedere Klasse der christlichen Geistlichkeit.
Wir erreichten die Herberge bei Sonnenuntergang. Einige der Mönche schöpften aus großen Kesseln Essen in die Näpfe der vielen Menschen, die Schlange standen. Die meisten sahen nicht nach Reisenden aus. Offenbar waren es arme Bewohner der Stadt, denen die Mönche Nahrung und Unterkunft gewähren mußten, denn niemand machte Anstalten, für die gefüllte Schüssel zu bezahlen. Die Mönche schienen auch keine Bezahlung zu erwarten.
Ich rechnete deshalb damit, daß sie nur einen billigen, sättigenden Brei austeilen würden. Doch zu meiner Überraschung gab es heiße Entensuppe mit sehr viel Fleisch. Außerdem erhielt jeder von uns etwas Warmes, Rundes, das braun und knusprig war. Wir beobachteten, was die anderen damit taten. Sie bissen Stücke davon ab und tunkten sie auch in die Suppe, so wie wir es ebenfalls mit unseren runden, dünnen und flachen Tláxcaltin taten.
»Die Spanier nennen unsere Mais-Tláxcaltin Tortillas«, erklärte ein magerer Mann, der mit uns in der Schlange gestanden hatte. »Ihre Art Brot nennen sie Bolillo. Es wird aus dem Mehl einer Grassorte gemacht, die sie Weizen nennen. Sie finden, Weizen sei unserem Mais vorzuziehen. Er kann dort angebaut werden, wo kein Mais wächst.«
»Was immer es sein mag«, murmelte meine Mutter schüchtern, »es schmeckt gut.«
Onkel Mixtzin wies sie sofort zurecht. »Schwester Cuicáni, ich will kein gutes Wort über etwas hören, das mit den weißen Spaniern zu tun hat!«
Der magere Mann lachte und stellte sich vor. Er hieß Pochotl, setzte sich beim Essen zu uns und gab uns weitere hilfreiche Informationen.
»Die Spanier müssen in ihrem Land eine besondere Vorliebe für Enten haben, denn sie ziehen das Fleisch der Enten jedem anderen vor. Natürlich gibt es auf unserem See zahllose Enten.« Er lachte wieder und schüttelte den Kopf.
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