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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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»Die Spanier haben eine sehr eigenartige, aber wirkungsvolle Art, sie zu jagen …« Er machte eine Pause und hob die Hand. »Da! Hört ihr es? In der Dämmerung kommen die Entenschwärme zum Wasser zurück, und die spanischen Vogelsteller töten jeden Abend Hunderte von ihnen.«
    Wir hörten mehrmals ein dumpfes Krachen. Es klang wie ferner Donner, der eine Weile anhielt. »Deshalb«, fuhr Pochotl fort, »gibt es so viel Entenfleisch, daß es sogar kostenlos an uns Arme verteilt werden kann. Ich würde Pitzóme-Fleisch vorziehen, wenn ich es mir leisten könnte.«
    Onkel Mixtzin brummte: »Wir sind nicht arm.«
    »Ich nehme an, ihr seid neu hier. Dann bleibt ruhig für eine Weile.«
    »Was ist Pitzóme?« fragte ich. »Ich habe dieses Wort noch nie gehört.«
    »Ein Tier. Die Spanier haben es mitgebracht und züchten es in großen Mengen. Man kann es mit unserem Wildschwein vergleichen, aber es ist zahm und sehr viel fetter. Sein Fleisch, das sie Puerco nennen, ist so zart und wohlschmeckend wie eine gut gekochte Menschenkeule.« Meine Mutter und ich zuckten bei dem Wort ›Menschenkeule‹ zusammen, doch Pochotl achtete nicht darauf. »Die Ähnlichkeit von Pitzóme und Menschenfleisch ist so groß, daß viele von uns glauben, die Spanier und diese Tiere müssen Blutsverwandte sein. Einige behaupten, daß die Weißen und ihre Pitzóme sich fortpflanzen, indem sie sich miteinander paaren.« Die Mönche trieben uns jetzt mit energischen Gesten aus dem großen, kahlen Raum, in dem wir gegessen hatten. Wir stiegen eine Treppe zu den Schlafquartieren im oberen Stockwerk hinauf. Solange ich denken konnte, war es das erste Mal, daß ich zu Bett ging, ohne mich im Dampfbad zu reinigen, mich zu waschen oder zumindest im nächsten erreichbaren Gewässer zu schwimmen. Im Obergeschoß befanden sich zwei große getrennte Räume für Männer und Frauen. Mein Onkel und ich gingen in den einen und meine Mutter in den anderen. Es gefiel ihr überhaupt nicht, daß sie von uns getrennt schlafen würde.
    »Ich hoffe, wir sehen sie morgen früh wohlbehalten wieder«, murmelte Onkel Mixtzin. »Yya, ich hoffe, wir sehen sie überhaupt wieder. Es kann sehr gut sein, daß diese weißen Priester eine Regel haben, die sie dazu berechtigt, mit einer Frau zu schlafen, wenn sie ihr eine Mahlzeit gegeben haben.«
    Um ihn zu beruhigen, erwiderte ich: »Dort unten haben Frauen gegessen, die viel jünger und verführerischer waren als Tene.«
    »Wer weiß, was für einen Geschmack diese Fremden haben. Dieser Mann hat erzählt, daß sie sich möglicherweise sogar mit Schweinen paaren. Ich traue ihnen alles zu.«
    Pochotl, der so mager war, daß er seinen Namen Lügen strafte – Pochotl sind große, dicke Bäume –, gesellte sich wieder zu uns. Er nahm das Strohlager neben meinem ein und fuhr fort, uns mehr über die Stadt Mexico und ihre spanischen Herren zu berichten.
    »Das hier«, sagte er, »war einmal eine Insel, die inmitten des Texcóco-Sees lag. Inzwischen ist der See so weit versandet, daß sich das Ufer einen ganzen Langen Lauf östlich der Stadt befindet. Kanäle müssen immer wieder ausgehoben werden, damit die Acáltin mit ihren Lasten sie befahren können. Der Damm, der die Stadt mit dem Festland verbindet, führte früher durch klares, sauberes Wasser. Aber wie euch sicher aufgefallen ist, wächst dort inzwischen nur noch Schilf, und man sieht kaum noch Wasser. Früher gab es Verbindungen zu anderen Seen und zum Texcóco-See. Genau genommen war es ein einziger großer See. Man konnte mit dem Acáli von der Insel Tzumpánco im Norden mehr als zwanzig Lange Läufe – oder zwanzig Legua, wie die Spanier sagen würden – bis zu den Blumengärten von Xochimilco im Süden rudern. Jetzt müßte man durch die großen Sümpfe waten. Manche Leute sagen, die Bäume sind daran schuld.«
    »Die Bäume?« rief mein Onkel.
    »Die Senke ist von allen Seiten von Bergen umgeben. Diese Berge waren vor der Ankunft der Weißen mit dichten Wäldern bedeckt – beinahe wie mit einem dichten Fell.«
    Mixtzin sagte nachdenklich. »Du hast recht. Mir ist aufgefallen, daß die Berge eher braun als grün aussehen.«
    »Weil die Bäume fehlen!« Pochotl nickte. »Die Spanier haben sie gefällt und Balken, Bretter und Feuerholz daraus gemacht. Das hat vermutlich Chicomecóatl, die Göttin alles Grünen, erzürnt. Vielleicht hat sie sich gerächt und den Gott Tlaloc überredet, nur noch selten und unregelmäßig Regen zu schicken. Sie hat bestimmt auch Tonatiu

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