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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Maguey heißt.
    Ich konnte nur vermuten, daß die Mexica der Stadt angefangen hatten, übermäßig zu trinken, damit sie im Rausch ihre Niederlage und tiefe Verzweiflung vergaßen. Doch Cuati Alonso widersprach. »Es gibt genügend Beweise dafür«, erklärte er, »daß die Rasse der Indios für die starke Wirkung des Alkohols anfällig ist. Sie lieben die berauschende Wirkung, und sie sind begierig darauf, sich bei jeder Gelegenheit zu betrinken.«
    Ich erwiderte: »Ich kann nicht für die Bewohner dieser Stadt sprechen, aber ich habe noch nie erlebt, daß die Indios an anderen Orten anfällig für den Alkoholgenuß sind.«
    »Wir Spanier haben viele Völker unterworfen«, erwiderte er, »Berber, Mohammedaner, Juden, Türken und Franzosen. Nicht einmal die Franzosen haben als Folge ihrer Niederlage angefangen, sich in großer Zahl zu betrinken. Nein, Juan Británico, wir mußten seit unserer Landung vor vielen Jahren in Kuba bis hin zu allen Gebieten Neuspaniens, die uns inzwischen gehören, feststellen, daß die Indios über kurz oder lang alle dem Alkohol verfallen. De León berichtet das gleiche von den Rothäuten in Florida. Es scheint eine latente körperliche Schwäche zu sein, ähnlich wie die Anfälligkeit für so banale Krankheiten wie Masern und Blattern, an denen die Menschen hier sterben.«
    »Ich kann nicht leugnen, daß sie daran erkranken und sterben«, erwiderte ich.
    »Die Behörden und besonders unsere Heilige Mutter Kirche«, fuhr er fort, »haben voll Mitleid alles Erdenkliche unternommen, die schwachen Indios vor den Verlockungen des Alkohols zu schützen. Wir haben versucht, sie zu spanischem Branntwein und Wein zu bekehren, weil wir hofften, diese stärker berauschenden Getränke würden die Menschen dazu bringen, weniger zu trinken. Aber natürlich konnten sich nur die reichen Adligen diese Getränke leisten. Der Gobernador hat deshalb in San Antonio de Padua, im früheren Texcóco, eine Brauerei gegründet, weil er hoffte, die Indios an das billigere und leichtere Bier zu gewöhnen. Aber es nützt nichts. Pulque bleibt der am leichtesten erhältliche Alkohol. Er ist spottbillig, denn jeder kann ihn zu Hause herstellen. Deshalb ist er nach wie vor das beliebteste Mittel, um sich zu betrinken. Die Behörden haben als letzten Ausweg ein Gesetz gegen das übermäßige Trinken der Eingeborenen erlassen und sperren jeden ins Gefängnis, der es bricht. Doch selbst das Gesetz ist wirkungslos. Wir müßten beinahe die gesamte indianische Bevölkerung einsperren.« Oder umbringen, dachte ich.
    Ich hatte vor kurzem beobachtet, wie eine völlig betrunkene, ältere Frau, die auf der Straße herumtorkelte und zusammenhanglos lallte, von drei Soldaten der Stadtwache aufgegriffen worden war. Die Soldaten machten sich nicht die Mühe, die Frau einzusperren. Sie hatten sichtlich vergnügt mit den Kolben ihrer Donnerstöcke auf sie eingeschlagen, bis sie bewußtlos war. Dann zogen sie die Schwerter, aber nicht, um die Frau zu töten, sondern um ihr am ganzen Körper kreuzweise Schnittwunden zuzufügen, damit sie, falls sie nach den Schlägen wieder zu Bewußtsein kam, gerade noch begreifen konnte, daß sie nicht mehr zu retten war und verbluten würde. »Da Ihr gerade Pulque erwähnt«, sagte ich, um das Thema zu wechseln, »er wird aus Metí oder Maguey, also aus einer bestimmten Art von Agaven gemacht. Beim Übersetzen des letzten Textes habe ich gesehen, Cuati Alonso, daß Maguey für Euch ein Kaktus ist. Das stimmt nicht. Die Agave hat Stacheln, das ist richtig, aber jeder Kaktus besitzt außerdem eine Art holziges Skelett. Eine Agave hat das nicht. Sie ist eine Pflanze wie jeder beliebige Busch und jedes Gras.«
    »Danke, Cuati Juan. Ich mache mir einen Vermerk. Gut, dann wollen wir mit unserer Arbeit fortfahren.«
    Ich schlief jede Nacht in der Herberge und bekam dort mein Frühstück und die Abendmahlzeit. Die freien Sonntage verbrachte ich auf den Märkten der Stadt und erkundigte mich bei Standbesitzern und Vorübergehenden nach einem Ehepaar namens Neztlin und Citláli, das aus der Stadt Tépiz gekommen war. Meine Nachforschungen blieben lange erfolglos. Aber ich vergeudete meine Zeit nicht, weder in der Herberge noch auf den Märkten.
    Wenn ich mich unter die Stadtbewohner mischte, half mir das, mein altmodisches Náhuatl zu verbessern und mir das neuere Vokabular der Mexica anzueignen. Ich suchte, so oft es ging, die Gesellschaft der wohlhabenden Fernhändler, die Waren aus dem Süden brachten, um

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