Der Sohn des Azteken
Alonso wußte nicht genau, ob das zur Geburt von so merkwürdigen Wesen wie Tapirkindern und Alligatorkindern geführt hatte. Aber, so bestätigte er, in Neuspanien und auch in älteren spanischen Kolonien schliefen sowohl Spanier als auch Moros mit ihren Sklavinnen nach Lust und Laune. Obwohl selten darüber geredet wurde, gab es genügend Beweise dafür, daß sich auch manche Spanierinnen unter den schwarzen Sklaven Liebhaber wählten. Das waren nicht nur jene Frauen, die von den Spaniern als Huren hierhergebracht wurden, sondern Frauen und Töchter der höchsten Stände. Aus Verderbtheit, aus Lüsternheit oder aus reiner Neugier paarten sie sich mit Männern jeder Hautfarbe und jeden Ranges. Die zügellose Vermischung der Rassen, erklärte Alonso, führe zu einer Vielzahl von Kindern, deren Hautfarbe von beinahe schwarz bis beinahe weiß reichte.
»Seit Velázquez Kuba erobert hat«, sagte er, »erweist es sich als nützlich, den Nachkommen unterschiedlicher Hautfarbe Namen zu geben, die sie in Kategorien einteilen. Das Ergebnis der Paarung eines männlichen oder weiblichen Indio mit einer männlichen oder weiblichen weißen Person nennen wir Mestizo. Das Ergebnis einer Paarung von Moro und Weißen nennen wir Mulato. Das Ergebnis der Paarung von Indio und Moro nennen wir Pardo. Paaren sich ein Mulato oder ein Pardo mit einer weißen Person, ist das Kind ein Cuarterón. Ein Kind das nur zu einem Viertel von einem Indio oder Moro abstammt, kann manchmal wie ein rein weißes Kind aussehen.«
Ich fragte: »Wozu dann die Mühe der genauen Unterscheidung?«
»Welch eine Frage, Juan Británico! Es kommt vor, daß sich der Vater oder die Mutter eines Bastards irgendwann für das Kind verantwortlich fühlt oder es sogar liebt. Wie du beobachtet hast, werden Mischlinge manchmal zur Schule geschickt, damit sie eine Ausbildung erhalten. Mitunter vererbt der Vater dem Kind sogar einen Familientitel oder Besitz. Es gibt kein Gesetz, das solche Erbschaften verbietet. Die Behörden und vor allem die Heilige Kirche müssen genaue Aufzeichnungen führen, um zu verhindern, daß das spanische Blut verunreinigt wird. Stell dir vor, ein oder eine Cuarterón gibt sich als weißer Mann oder weiße Frau aus, und ein argloser Spanier oder eine Spanierin heiratet die betreffende Person … das ist schon vorgekommen.«
»Wie kann das jemand herausfinden?«
»In Kuba hat vor kurzem ein scheinbar weißes Ehepaar ein turna Atrás bekommen, wie wir ein unverkennbar schwarzes Kind nennen. Die Frau beteuerte natürlich ihre Unschuld, ihre eheliche Treue, und sie war von makelloser kastilischer Herkunft. Gerüchten zufolge hieß es später, wenn die Register seit der ersten Ansiedlung von Spaniern in Kuba richtig geführt worden wären, hätte sich möglicherweise herausgestellt, daß der ›weiße‹ Ehemann der Schuldige war, weil in seinen Adern schwarzes Blut floß. Aber Gerüchte liefern keine Beweise, und die Kirche hatte natürlich darauf bestanden, daß die Frau und das Kind am Pfahl verbrannt wurden. Deshalb führen wir jetzt peinlich genaue Aufzeichnungen. Die geringste Spur von nichtweißem Blut, ob erkennbar oder nicht, befleckt den, der es in sich trägt, und macht ihn minderwertig.«
»Minderwertig«, murmelte ich, »natürlich …«
»Wir Spanier treffen sogar unter uns gewisse Unterscheidungen. Die unzweifelhaft weißen spanischen Kinder, die du im Kollegium siehst, nennen wir Criollos. Das bedeutet, sie sind auf dieser Seite des Meeres geboren. Die älteren Kinder und ihre Eltern, die wie ich aus dem Mutterland Spanien gekommen sind, heißen Gachupines – ›Sporenträger‹. Sie sind die spanischsten Spanier. Ich wage zu behaupten, daß die Gachupines irgendwann einmal auf die Criollos herabblicken werden, als verleihe ihnen allein die Tatsache, daß sie unter einem anderen Himmel geboren wurden, einen höheren gesellschaftlichen Rang. Für mich heißt das nur, daß ich beauftragt bin, jeden auf die entsprechende Weise in meinen Grundbüchern und Zensusunterlagen zu führen.«
Ich nickte, um zu zeigen, daß ich ihm folgen konnte, obwohl ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was ›Sporen‹ oder ›Zensus‹ bedeutete. »Aber«, fuhr er fort, »von den anderen, den Mischlingen, habe ich dir nur ein paar wenige Klassifizierungen genannt. Wenn sich zum Beispiel eine Cuarterón und ein Weißer paaren, ist das Kind ein Octavo. Die Unterschiede reichen bis zum Decimosexto. Ein solches Kind ist vermutlich nicht von einem weißen
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