Der Sohn des Azteken
ihn zum reichsten Mann von Neuspanien, vielleicht sogar von allen spanisch regierten Ländern gemacht.«
»Mich interessiert nicht«, sagte ich, »welche Intrigen sich die weißen Männer ausdenken und wie sie sich gegenseitig bekämpfen. Mich interessieren auch die Reichtümer nicht, die sie anhäufen. Sag mir Genaueres darüber, wie sie uns ihre Herrschaft aufzwingen.«
»Es gibt viele, die diese Herrschaft nicht als allzu drückend empfinden«, sagte Pochotl. »Ich meine jene Leute, die schon immer zu den unteren Schichten gehören, Bauern, Arbeiter und ähnliche Leute. Sie heben den Blick sehr selten von ihrer mühsamen Arbeit. Möglicherweise ist ihnen überhaupt noch nicht aufgefallen, daß ihre Herren eine andere Hautfarbe haben.« Er fuhr mit seinen Erklärungen fort. Neuspanien wurde von den Ratsmitgliedern der Audienca regiert. Doch König Carlos entsandte regelmäßig einen königlichen Revisor über das Meer, den sogenannten Visitador, um sicherzustellen, daß die Audienca ihren Pflichten ordnungsgemäß nachkam. Die Revisoren legten ihre Berichte dem Consejo de los Indios, dem Indienrat, in Altspanien vor. Der Rat war scheinbar für den Schutz der Rechte aller Bewohner Neuspaniens, der Einheimischen und der Spanier gleichermaßen, verantwortlich. Deshalb konnte er jedes von der Audienca erlassene Gesetz verändern, ergänzen oder verwerfen.
»Aber ich persönlich glaube«, sagte Pochotl, »der Rat soll vor allem sicherstellen, daß der Quinto bezahlt wird.«
»Der Quinto?«
»Das Fünftel des Königs. Jedesmal, wenn in unserem Land ein Federkiel voll Goldstaub, eine Handvoll Zucker, Kakaobohnen oder Baumwolle oder irgend etwas anderes den Besitzer wechselt, legt man den fünften Teil davon für den König beiseite, noch bevor ein anderer seinen Anteil davon erhält.«
Die von der Audienca in der Stadt Mexico erlassenen Gesetze und Verordnungen wurden zur Durchsetzung an die spanischen Corregidores in den wichtigsten Städten Neuspaniens weitergeleitet. Die Corregidores wiederum verpflichteten die Encomenderos ihrer Kolonien, sich an diese Gesetze zu halten und dafür Sorge zu tragen, daß die einheimische Bevölkerung sie befolgte. »Natürlich sind die Encomenderos im allgemeinen Spanier«, sagte Pochotl, »aber nicht immer. Es befinden sich einige unserer früheren Herren darunter oder ihre Nachkommen. Zum Beispiel der Sohn und zwei Töchter von Motecuzoma. Nachdem sie zum Christentum übergetreten waren und spanische Namen angenommen hatten – Pedro, Isabel und Leonor –, wurden ihnen Encomiendas zugeteilt. Ebenso Prinz Schwarze Blume, dem Sohn Nezahualpilis, des tief und aufrichtig betrauerten letzten Verehrten Sprechers von Texcóco. Er hat bei der Eroberung an der Seite des weißen Mannes gekämpft. Deshalb heißt er jetzt Hernando Schwarze Blume und ist ein reicher Encomendero.«
Ich sagte: »Encomendero, Encomienda. Was bedeutet das?«
»Ein Encomendero ist jemand, dem eine Encomienda zugeteilt worden ist. Das ist ein Stück Land unterschiedlicher Größe, dessen Herr der Encomendero ist. Die großen und kleinen Städte und Dörfer in diesem Gebiet zahlen ihm Tribut in Form von Geld oder Waren. Jeder, der etwas anpflanzt oder herstellt, tritt einen Teil davon an ihn ab. Alle unterstehen seinem Befehl, ganz gleich, ob sie ihm ein prächtiges Haus bauen, seine Felder bestellen oder seine Herden hüten, ob sie für ihn fischen oder jagen oder ihm sogar ihre Frauen und Töchter leihen, wenn er es befiehlt. Vielleicht auch ihre Söhne, wenn es sich um eine lüsterne Encomendera handelt. Eine Encomienda ist keine Zuteilung von Grundbesitz, sondern nur all dessen und all der Menschen, die sich innerhalb dieses Gebietes befinden.«
»Natürlich«, sagte ich. »Wie kann denn jemand Land besitzen? Wie kann jemand ein Stück der Welt besitzen? Das ist unvorstellbar.«
»Nicht für die Spanier«, erwiderte Pochotl und hob die Hand. »Manchen wurden sogenannte Estancia verliehen, und das schließt das Land mit ein. Es kann sogar von einer Generation an die nächste vererbt werden. Zum Beispiel gehören dem Marqués Cortés nicht nur die Menschen und die Erzeugnisse von Quaunáhuac, sondern auch der Grund und Boden, auf dem sich alles befindet. Und Malinche, seine ehemalige Geliebte, die Verräterin an ihrem Volk, ist jetzt die achtbare Witwe Jaramillo und besitzt eine große Flußinsel als eigene Estancia.«
»Das widerspricht aller Vernunft«, empörte ich mich. »Das ist gegen die Natur. Kein
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