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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Mensch kann für sich in Anspruch nehmen, auch nur den kleinsten Splitter der Welt zu besitzen. Die Welt ist von den Göttern geschaffen worden, und sie wird von den Göttern gelenkt. In früheren Zeiten haben die Götter die Welt von Menschen befreit. Sie gehört allein den Göttern.«
    »Wenn die Götter sie nur wieder befreien würden«, seufzte Pochotl. »Von den Weißen, meine ich.«
    »Also das mit den Encomiendas kann ich verstehen«, fuhr ich fort. »Das ist nichts anderes als das, was unsere Herrscher auch getan haben – Tribut fordern und Arbeiter verpflichten. Ich wüßte nicht, daß einer von ihnen Bettgenossen verlangt hat, aber ich nehme an, das hätten sie tun können, wenn ihnen danach gewesen wäre. Ich kann deshalb verstehen, wenn du behauptest, daß viele den Wechsel der Herrschaft überhaupt nicht wahrnehmen …«
    »Ich habe gesagt in den unteren Schichten«, entgegnete Pochotl. »Der Teil der Bevölkerung, den die Spanier Indios rústicos nennen – dumme Bauern, Schwachköpfe, Priester unserer alten Religion oder andere, auf die man leicht verzichten kann. Aber ich gehöre der Klasse der sogenannten Indios pallos an. Das sind Menschen mit Fähigkeiten. Bei Huitzli, mir ist der Unterschied ebenso bewußt wie jedem anderen Künstler, Handwerker, Schreiber und …«
    »Ja, ja«, sagte ich, denn ich konnte seine Klagen inzwischen beinahe so gut herbeten wie er selbst. »Aber was ist mit dieser Stadt, Pochotl? Sie muß die größte und reichste Encomienda von allen sein. Wem ist sie zugeteilt worden? Vielleicht dem Bischof Zumárraga?«
    »Nein, aber manchmal könnte man das glauben. Tenochtitlan … Verzeihung, die Stadt Mexico, ist die Encomienda der Krone oder des Königs. Ich spreche von König Carlos. Von allen Dingen, die hier hergestellt und gehandelt werden, angefangen bei Sklaven bis hin zu Sandalen, von jedem letzten Kupfer-Maravedi Gewinn, der damit gemacht wird, nimmt sich Carlos nicht nur den Fünften des Königs, sondern alles. Natürlich auch das Gold und Silber, das ich mein Leben lang bearbeitet habe, um …«
    »Ja, ja … schon gut.«
    »Natürlich«, fuhr er fort, »kann jedem Einwohner befohlen werden, die Arbeit niederzulegen, mit der er seinen Lebensunterhalt verdient, um zum Wohl der Königsstadt zu graben, zu bauen oder Straßen zu pflastern. Die meisten Gebäude des Königs sind inzwischen fertiggestellt. Deshalb mußte der Bischof so ungeduldig auf den Beginn der Arbeiten an seiner Kathedrale warten, und sie ist immer noch im Bau. Ich glaube übrigens, Zumárraga läßt seine Leute härter arbeiten, als es selbst die Baumeister des Königs verlangt haben.«
    »Wenn ich es also richtig sehe …«, begann ich nachdenklich, »würde man einen Aufstand zuerst unter den sogenannten Rústicos schüren. Man müßte sie aufhetzen, ihre Herren auf den Estanzias und in den Encomiendas zu stürzen. Erst dann würden wir uns von den höheren Klassen gegen die spanische Oberschicht erheben. Der Topf muß, wie in Wirklichkeit auch, von unten anfangen zu kochen.«
    »Ayya, Tenamáxtli!« Er raufte sich verzweifelt die Haare. »Rührst du wieder die alte Trommel? Ich hatte angenommen, du würdest die verrückte Idee einer Rebellion aufgeben, nachdem du der Liebling der christlichen Geistlichkeit geworden bist.«
    »Darüber bin ich froh«, sagte ich, »denn so kann ich sehr viel mehr hören und lernen, als es mir sonst möglich wäre. Selbstverständlich habe ich meinen Entschluß nicht aufgegeben. Irgendwann werde ich das alte Fell spannen, damit man die Trommel hört, damit sie donnert und sie zu einer ohrenbetäubenden Kampfansage wird.«
     
     

8
     
    Ich beherrschte seit einiger Zeit die spanische Sprache gut genug, um vieles von dem zu verstehen, was gesprochen wurde, auch wenn ich noch zu schüchtern war, meine Kenntnisse außerhalb des Klassenzimmers anzuwenden. Der Notarius Alonso wußte das und warnte die Geistlichen der Kathedrale ebenso wie alle anderen, deren Pflichten sie in das christliche Gotteshaus führten, davor, in meiner Hörweite vertrauliche Dinge zu besprechen. Es konnte mir nicht entgehen, denn wann immer sich zwei oder mehrere Spanier in meiner Gegenwart unterhielten, warfen sie mir irgendwann verstohlene Blicke zu und gingen weiter. Wenn ich jedoch durch die Stadt streifte, lauschte ich ungeniert und unbemerkt den Gesprächen. Eines Tages begutachtete ich versonnen das Gemüse an einem Marktstand, während ich folgendes hörte:
    »Wieder so ein verdammter

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