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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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ineinander zu stapeln, und dann lud sich jeder von uns einen Teil auf den Rücken. Zusammen mußten sie ein beachtliches Gewicht haben, das er ohne fremde Hilfe zum Markt getragen hatte.
    Er führte mich durch Seitenstraßen aus der Traza des weißen Mannes hinaus und in Richtung Südosten zu einem Barrio mit Häusern der Eingeborenen, der San Pablo Zoquipan hieß. Netzlin erzählte mir unterwegs, nachdem er und seine Frau beschlossen hätten, sich in der Stadt Mexico niederzulassen, sei er sofort zu Reparaturarbeiten an den Aquädukten herangezogen worden, die Süßwasser auf die Insel leiteten. Man hatte ihm kaum genug bezahlt, um Maismehl kaufen zu können, aus dem Citláli Atóli kochen konnte. Sie ernährten sich eine ganze Weile nur von diesem Brei. Als Netzlin dem Tepizqui seines Barrio jedoch beweisen konnte, daß er und Citláli eine bessere Möglichkeit hatten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wurde ihm erlaubt, sich selbständig zu machen.
    »Tepizqui«, wiederholte ich. »Das ist ein Náhuatl-Wort, aber ich habe es noch nie gehört. Und Barrio, das ist Spanisch. Es bedeutet ›Teil einer Gemeinde‹ oder ein kleiner Bezirk innerhalb der Gemeinde. Habe ich recht?«
    »Ja. Der Tepizqui ist einer von uns. Das heißt, er ist der Mexicatl-Beamte, der dafür zu sorgen hat, daß alle in seinem Barrio sich an die Gesetze der Weißen halten. Er untersteht natürlich einem spanischen Beamten, dem Alkalden, der für alle Barrios und die jeweiligen Tepizque mit ihren Leuten verantwortlich ist.« Netzlin hatte seinem Tepizqui gezeigt, wie geschickt und kunstvoll er und seine Frau Körbe flochten. Der Tepizqui hatte das dem spanischen Alkalden berichtet, der es seinerseits dem Corregidor, seinem Vorgesetzten, zur Kenntnis brachte. Dieser Beamte hatte es an den Gobernador der königlichen Encomienda weitergeleitet, die, wie ich bereits wußte, alle Barrios und Viertel samt allen Bewohnern der Stadt Mexico umfaßte. Der Gobernador unterbreitete die Angelegenheit der Audienca, als sie zu Beratungen zusammentrat, und schließlich wurde durch all diese gewundenen Kanäle eine Concesión real ausgestellt, die es Netzlin erlaubte, den Stand auf dem Markt zu betreiben, wo ich ihn getroffen hatte.
    Ich sagte: »Mir scheint, ein Mann muß in dieser Stadt viel Geduld für endlose Beratungen aufbringen, nur damit er die Arbeit seiner Hände verkaufen kann.« Netzlin zuckte die Schultern, so gut ihm das unter seiner Last möglich war. »Soviel ich weiß, waren solche Dinge damals, als das hier noch Motecuzómas Stadt war, genauso kompliziert. Jedenfalls befreit mich die Konzession davon, zur Zwangsarbeit eingezogen zu werden.«
    »Was hat dich dazu gebracht, statt dessen Körbe zu flechten?«
    »Das haben Citláli und ich inTépiz auch schon gemacht.
    Die Binsen und das Schilfrohr, die wir in den brackigen Sümpfen bei uns zu Hause geschnitten haben, unterscheiden sich nicht sehr von dem, was man hier im See findet. Schilf und Sumpfgras sind sogar das einzige, was hier am Ufer wächst, obwohl man mir gesagt hat, daß das einmal ein sehr fruchtbares, grünes Tal war.« Ich nickte. »Jetzt stinkt es nur nach Schlamm und Abfällen.«
    Netzlin fuhr fort. »Abends wate ich durch den Sumpf und schneide Binsen und Schilf. Citláli verarbeitet das Material tagsüber, wenn ich auf dem Markt bin. Unsere Körbe verkaufen sich gut, denn sie sind viel enger geflochten und hübscher als alles, was die wenigen einheimischen Korbflechter anbieten. Vor allem die spanischen Haushalte ziehen unsere Ware vor.«
    Das war interessant. Ich fragte: »Also hast du mit den spanischen Bewohnern zu tun? Hast du viel von ihrer Sprache gelernt?«
    »Sehr wenig«, antwortete er ohne großes Bedauern. »Ihre Dienstboten kommen zu mir: Köche, Küchenjungen, Wäscherinnen und Gärtner. Sie gehören zu unserem Volk. Deshalb brauche ich das Kauderwelsch des weißen Mannes nicht.«
    Ich dachte, vielleicht könnte es für meine Zwecke sogar nützlicher sein, Zugang zu den Domestiken zu haben, als mit den spanischen Haushaltsvorständen selbst bekannt zu werden.
    »Wie auch immer«, fuhr Netzlin fort, »Citláli und ich verdienen sehr viel besser als die meisten unserer Nachbarn im Barrio. Wir essen mindestens zweimal im Monat Fisch oder Fleisch. Einmal haben wir uns sogar eine dieser seltsamen und teuren Früchte geteilt, welche die Spanier Limón nennen.«
    »Ist das alles, was du vom Leben erwartest, Cuati Netzlin? Willst du immer nur Körbe flechten und sie

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