Der Sohn des Azteken
ich dir gern eine Traglast mit«, sagte Peloloa. »Salpeter ist billig. Ich werde dir nichts dafür berechnen, denn du bist mein Freund.«
Ich eilte mit der guten Nachricht nach Hause. Aber in meiner Aufregung tat ich etwas Dummes. Ich riß den Türvorhang ungestüm zur Seite und rief: »Citláli, du kannst mit dem Urinieren aufhören!« Sie bekam einen Lachkrampf. Es dauerte eine Weile, bis sie keuchend hervorstieß: »Ich habe einmal gesagt, du bist verrückt. Ich hatte recht. Du bist völlig xolopitli!« Es dauerte eine Weile, bis ich mich so weit beruhigt hatte, daß ich die Neuigkeit in andere Worte fassen und ihr berichten konnte, welch großes Glück mir widerfahren war.
Citláli sagte leise: »Vielleicht sollten wir der Salzgöttin Itzociuatl mit einer kleinen Feier unsere Dankbarkeit zeigen.«
»Mit einer kleinen Feier? Was für eine Art Feier?« Sie errötete und erwiderte schüchtern: »Ich habe den ganzen letzten Monat pulverisierte Tlatlaohuéhuetl-Wurzel eingenommen. Ich glaube, wir müssen nicht befürchten, daß etwas schiefgeht, wenn wir die viel gerühmte Wirksamkeit auf die Probe stellen.« Ich sah sie an – mit neuen Augen, wollte ich beinahe sagen. Aber das zu behaupten wäre nicht ehrlich. In der Zeit, die wir auf unseren Lagern in getrennten Zimmern schliefen, hatte ich sie begehrt, mir jedoch sittsam nichts anmerken lassen.
Es lag schon so lange zurück, daß ich das letzte Mal mit einer Frau zusammengewesen war, der kleinen braunen Rebeca, daß ich wahrscheinlich bald die Dienste einer Maátitl in Anspruch genommen hätte. Citláli mußte mein kurzes Zögern als Widerstreben deuten, denn sie sagte lachend: »Niez tlalqua ayquic axitlinéma.« Das heißt: »Ich verspreche, nicht zu urinieren«. Damit brachte sie mich ebenfalls zum Lachen. So umarmten wir uns lachend. Und das ist, wie ich nun zum ersten Mal erfuhr, die beste Art das alte Spiel zu beginnen.
Orne Ehécatl war mittlerweile von einem Säugling auf Citlális Arm zu einem krabbelnden Kleinkind herangewachsen und begann gerade, auf unsicheren Beinchen zu laufen. Ich rechnete jeden Tag mit Ehécatls Tod und Citláli zweifellos auch. Denn ein Kind, das bei der Geburt körperlich mißgestaltet ist, hat meist noch andere, nicht erkennbare Gebrechen, an denen es schließlich stirbt. Während Ehécatls früher Kindheit stellte sich jedoch nur eine einzige weitere Behinderung heraus. Sie würde nie sprechen lernen. Das bedeutete, daß sie möglicherweise auch taub war. Citláli machte sich deshalb mehr Sorgen als ich, denn ich fand es angenehm, daß das Kind niemals schrie.
Ehécatls Gehirn erfüllte ansonsten seinen Dienst sehr gut. Mit dem Laufen lernte sie, sich geschickt im Haus zu bewegen und einen weiten Bogen um die Feuerstelle zu machen.
Wenn Citláli fand, das Kind müsse an die frische Luft, führte sie es auf die Straße und schob es behutsam in die Richtung, in die es gehen sollte. Ehécatl setzte sich in Bewegung und wankte im Vertrauen darauf, daß ihre Mutter alle Hindernisse aus dem Weg geräumt hatte, mutig die Straße entlang.
Citláli war zu allen Menschen stets freundlich und sanft. Ihre natürliche Güte und Liebenswürdigkeit machten es ihr leicht, für ein Geschöpf wie Ehécatl mütterliche Gefühle zu empfinden. Sie hielt das Kind sauber, kleidete und ernährte es ordentlich, obwohl es anfangs Schwierigkeiten gehabt hatte, ihre Brust zu finden, und später, den Löffel zu halten.
Die Kinder aus der Nachbarschaft überraschten mich. Für sie schien Ehécatl eine Art Spielzeug zu sein. Sie war in ihren Augen bestimmt kein normaler Mensch, aber auch nicht etwas Lebloses wie eine Puppe aus Stroh oder Ton. Sie spielten liebevoll mit dem Kind, ohne es jemals zu mißhandeln oder zu verspotten. Alles in allem lebte Ehécatl mehrere Jahre, was bei solchen Mißgeburten erstaunlich ist. Sie verbrachte diese Zeit so ungestört und heiter, wie man es einem unheilbar mißgestalteten Kind nur wünschen konnte.
Ich wußte, Citláli machte sich Gedanken darüber, ob Ehécatl jung oder alt in das Totenreich gelangen werde. Vermutlich dachte Citláli auch an ihr eigenes Leben nach dem Tod. Kein Mensch der EINEN WELT glaubt, daß er nach dem Tod bereits deshalb zum Nichts von Mictlan verdammt ist, so wie die Christen zur Hölle, nur weil er geboren wurde, gelebt hat und gestorben ist. Doch um sicherzustellen, daß man nicht in die Mictlan gestürzt wird, sollte man im Leben etwas getan haben, um die Aufnahme in das Tonatiucan
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