Der Sohn des Bannsängers
genau zu analysieren, müßte man sie anwenden, ein teuflisches Angebot, dazu gedacht, jeden zu umgarnen, der es versuchen sollte. Ihre Anziehungskraft müßte zugleich unwiderstehlich und unweigerlich tödlich sein.« Er holte tief Luft. »Das Große Wahre, mein Freund, ist ein Begriff, dem alle vernunftbegabten Wesen am besten aus dem Weg gehen sollten. Vergiß es einfach. Tu so, als hättest du nie davon gehört. Selbst in den Händen der Klügsten, Vorsichtigsten und Wohlmeinendsten könnte es ganze Gemeinwesen vernichten, bis hin zur gesamten Zivilisation, wie wir sie kennen.
Weshalb es nicht existieren kann. Schon der bloße Gedanke ist zu schrecklich, um sich weiter damit zu befassen.« Während er diese Warnung aussprach, verdunkelte sich die Beleuchtung im Baum, bis es auf dem Korridor stockfinster und im Arbeitszimmer richtig düster war.
Die reduzierte Beleuchtung störte Mulwit nicht, der durch den Buncan gegenüberliegenden Eingang ins Zimmer geflattert kam.
»Ich habe dich nicht gerufen«, tadelte Clodsahamp den Famulus.
Mulwit hockte sich auf die Lehne eines freien Stuhls. »Sie scheinen beunruhigt, Meister. Ich dachte, Sie könnten vielleicht etwas Beistand gebrauchen.«
»Deine Besorgnis ist lobenswert, jedoch fehl am Platz.« Der Schildkröterich räusperte sich gewichtig. »Wenn du schon mal hier bist, kannst du auch bleiben.« Er lächelte, soweit sein unbiegsamer Schnabel dies zuließ. »Das war ein alter Scherz zwischen deinem Vorgänger und mir.« Er schaute blinzelnd auf die Leuchtkugeln. »Also, das reicht nicht.« Ein rasch dahingesagter, geheimnisvoller Satz stellte die frühere Helligkeit wieder her.
Buncan wußte, daß er durch sein Bleiben das Schicksal heraus forderte. Wenn nicht Clodsahamp oder sein Vater, so würde ihn der aufmerksame, hellhörige Mulwit bald bemerken. Das hätte vorwurfsvolle Fragen zur Folge, die er nur unzureichend würde beantworten können. Seine Neugier hielt ihn jedoch im Korridor fest.
Das Große Wahre, hatte der Händler Gugelund es genannt. Realität oder Illusion, jedenfalls hatte es Clodsahamp provoziert. Was konnte so furchterregend sein, daß ein großer Hexer sich hartnäckig weigerte, auch nur sein Vorhanden sein ein zu gestehen? Was konnte dem allmächtigen Clodsahamp einen solchen Schrecken einjagen?
»Der Soldat Juh Phit hat sich konkreter ausgedrückt.« Gugelund zupfte sich am pelzigen Ohr.
»Wie von einem Söldner wohl auch zu erwarten war«, murmelte Clodsahamp.
»Er meinte, wenn man es besäße, könne man unvorstellbar reich werden. Jeder Wunsch werde einem erfüllt, wenn man nur lernte, das Wahre richtig zu benutzen.«
»Die wahren Schrecken sind immer bestrickend«, sagte Clodsahamp. »Das Große Wahre existiert nicht, und falls doch, läßt man es am besten in Ruhe.« Er starrte seinem nächtlichen Besucher gerade ins Gesicht. »Das Schicksal Ihres Juh Phit sollte Beweis genug sein. Gehen Sie diesem Gerücht nur weiter nach, dann werden Sie mit Sicherheit ein ähnliches Ende nehmen.« Er wandte sich unvermittelt an Jon-Tom, stieß einen Finger in dessen Richtung.
»Und was dich betrifft, Partner, so weiß ich genau, was in dir vorgeht. Schlag dir diese Gedanken aus dem Kopf. Außerdem würde dich deine Frau an den Knien amputieren, wenn du etwas unternehmen wolltest.«
»Hatte ich nicht vor«, murmelte Jon-Tom.
»Wir haben reichlich zu tun, und ich brauche dich hier. Selbst wenn dem nicht so wäre, würde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um dich davon abzuhalten, diesem gefährlichen Gerücht nachzugehen.«
»Ich habe keine Angst vor Gerüchten.« Buncan empfand plötzlich Stolz auf seinen Vater. »Bei Talea ist das was anderes.« Buncan sackte zusammen.
»Man sollte sich nur mit den Alpträumen beschäftigen, die der Schlaf gezähmt hat«, riet Clodsahamp seinem menschlichen Kollegen, »und die wahren Alpträume sollte man den Verwegenen überlassen.« Er wandte sich wieder dem Faultier zu. »Sie haben einen weiten Weg zurück gelegt, um uns zu besuchen, Händler. Zu welchem Zweck?«
»Ich glaube, daß das, was Juh Phit gesagt hat, als er sterbend in meinen Armen lag, weiterer Nachforschungen wert ist, doch in mystischen Dingen habe ich keine Erfahrung. Ich wollte Beistand suchen.« Angesichts Clodsahamps entmutigender Skepsis war die Hartnäckigkeit des Faultiers bewundernswürdig, fand Buncan.
»Natürlich wollen Sie die Angelegenheit nur deshalb weiter verfolgen, um Ihre intellektuelle Wißbegier zu stillen.«
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