Der Sohn des Bannsängers
Bruder sah aus der Höhe seiner dritten Rippe zu ihr hoch.
»Erinnert ihr euch noch an den Text?« fragte Buncan.
Neena lächelte schwach. Sie hatte nicht einmal Schnurrhaare.
»Ich 'ab gedacht, ich müßte sterben. Wenn man glaubt, daß man sterben wird, prägt man sich alles genau ein.«
Buncan nickte, machte sich bereit. »Dann machen wir an der Stelle weiter, wo wir aufgehört haben.«
Während sie den Song einstudierten, glitt das Boot an der einen Seite des röhrenförmigen Flusses herunter und über den Boden, dann stieg es an der anderen Seite langsam wieder empor.
»Wir sollten uns besser beeilen. In so einem Gewässer bin ich noch nie gesegelt, und ich glaube, allmählich kriege ich das, was mein Paps Seekrankheit nennt.«
»Oh.« Gugelund musterte ihn interessiert. »Ich dachte, deine momentane Farbe wäre nur eine weitere Folge unseres unseligen Zustands.«
Während das Boot akrobatische Loopings im Wassertunnel beschrieb, sangen und spielten sie. Die ihnen mittlerweile schon vertraute silbrige Flamme hüllte das ganze Boot ein und durchdrang jeden einzelnen von ihnen mit einem kalten Prickeln. Sie verschwand, als das Lied endete.
Als er wieder klar sehen konnte, bemerkte Buncan, daß Squills Kopf und dessen Arm die Plätze getauscht hatten. Desgleichen seine und Gugelunds Ohren sowie andere Körperteile, die ausführlich zu diskutieren ihnen das Schamgefühl verbot. Neena hatte ihr dichtes, sorgsam gepflegtes Fell wiederbekommen, doch sie entspannte sich erst, als sie ihre wieder hergestellten Schnurrhaare einzeln durchgezählt hatte.
Alle waren sehr erleichtert.
»Das war furchtbar.« Neena putzte sich, so gut sie das ohne Kamm vermochte. »Stellt euch bloß mal ein Leben vor, mit nich mehr Fell am Leib als bei 'nem Menschen!«
»Seht mal«, sagte Gugelund. »Euer Restaurierungshymnus hat auch unser Boot wieder verjüngt.« Der Mast war jedenfalls unübersehbar wieder gerade.
Dies hinderte sie jedoch keineswegs daran, innerhalb der Röhre, die der Fluß Sprilashoone war, kopfüber, kopfunter, seitlich und in jede andere Richtung zu gleiten.
»Wie kommen wir hier bloß wieder raus?« Buncan schaute den zischenden, vibrierenden Wassertunnel so lange an, bis ihm schwindelig wurde. »Wie sollen wir so irgendwo anlegen?«
»Wie hat sich eigentlich dein Vater aus diesem anderen Zauberstrom befreit?« versuchte Gugelund ihm auf die Sprünge zu helfen.
Neena kratzte sich am Kopf. »Mit 'nem Banngesang, schätze ich. Oder vielleicht wurde der Fluß irgendwann auch wieder flach, 'at sich geteilt, glaube ich.«
»Wenigstens stimmt die Richtung.« Der Händler schaffte es, seiner Stimme einen optimistischen Tonfall zu verleihen.
Squill blickte ihn neugierig an. »Wo'er willst du das wissen? Ich 'abe 'nen ausgezeichneten Orientierungssinn, aber mit dem Kopf nach unten und dermaßen eingeschlossen soll mich der Teufel 'olen, wenn ich dazu irgendwas sagen kann.«
Gugelund war ganz Ohr. »Händler, die soviel umherreisen wie ich, lernen mit der Zeit, derartige Dinge zu beurteilen. Viele meiner Kunden leben an schwer zugänglichen Orten. Es wäre schlecht fürs Geschäft, wenn ich sie nicht finden könnte.« Ein plötzlicher Gedanke warf einen Schleier der Besorgnis über sein stets melancholisches Gesicht. »Ich hoffe nun, wir kommen nicht an einen Punkt, wo der Tunnel in sich zusammenfällt. Tod durch Ertrinken mag vielleicht weniger originell sein, als in Fetzen zu fliegen, aber er ist ebenso endgültig.«
»Wir lassen dich schon nicht ertrinken, du alter Tränensack.«
Neena lächelte ihn an. »Ohne deine ständigen Klagen würd's mir ja langweilig.«
»Alles wie gehabt«, versicherte Buncan dem Faultier, obwohl er zugeben mußte, daß ihm der Gedanke Sorgen machte. Er und der Händler vermochten den Atem nicht mal halb so lange anzuhalten wie die Otter.
»Deine Farbe ist besser geworden«, meinte Gugelund.
»Ich fühle mich auch besser. Ich glaube, allmählich gewöhne ich mich daran. Soweit man sich an so etwas gewöhnen kann.«
Diese Bemerkung war etwas voreilig gewesen.
XI
Nach zehnminütiger fahrt krümmte sich der Tunnel und verformte sich spiralförmig. Es war, als segelten sie mit Höchstgeschwindigkeit durch die Innereien einer riesigen Schlange, die einen wilden, peitschenden Tanz vollführte. Was durchaus auch der Fall sein konnte.
Der röhrenförmige Fluß schnellte hoch und duckte sich, stieg an und fiel senkrecht ab; Stromschnellen im Innern eines Korkenziehers. Und die
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