Der Sohn des Donnergottes
Rutja abgedruckt war. Er machte sich torkelnd auf den Weg in Richtung Töölö. In jenem Stadtviertel meinte er, eine Kneipe zu finden, wo man ihn nicht so grob abweisen würde wie in der Innenstadt.
Rutja Ronkainen folgte ihm durch die stillen Straßen. In seinen Augen loderten blaue Flammen: Seine Göttlichkeit war beleidigt worden, und der Verräter lief mit den betrügerischen Druckerzeugnissen unter dem Arm die Straße entlang. Einige Passanten, die dem Sohn des Donnergottes zufällig in die Augen sahen, bekamen es mit der Angst zu tun und dachten bei sich: »Die Verrückten werden auch immer verrückter.«
Huikka Tuukkanen lief und stolperte über die Annankatu zum Tennispalast, bog dann in die Mannerheimintie ein, stand eine Weile wie ein betrunkener Zeitungsverkäufer vor dem Parlamentsgebäude und setzte dann seinen mühsamen Weg in dem kleinen Park hinter dem Parlament fort.
In diesem Moment beschloß Rutja zuzuschlagen. Er sandte einen feurigen Blick zu seinem Vater und sprach ein zorniges Gebet:
He ho, Ukko Obergott,
Donnerer am Himmelsrand!
Schlag das Schwein mit einem Blitz,
räum den Scheißkerl aus dem Weg!
Auf einmal erhob sich im sommerlichen Helsinki ein heißer Abendwind, heftig und bedrohlich. Er ließ die Schmierblätter unter Huikka Tuukkanens Arm in den nächsten Abfalleimer fliegen, dann leuchtete ein blendend heller Blitz auf, begleitet von einem krachenden Donner. Der betrunkene Schreiberling ging in Flammen auf und verbrannte wie eine lodernde Fackel zu Asche. Rutja wandte sich ab und ging langsam davon. Er war wieder völlig ruhig wie ein junger freundlicher Gott.
Am nächsten Tag nahm die Zeitung die Geschichte über den Antiquitätenhändler Ronkainen zurück. Außerdem erschien eine andere, die vom plötzlichen Tod des Journalisten Huikka Tuukkanen durch einen Blitzschlag im Park des Parlamentsgebäudes berichtete.
Als seine Kollegen gedenken wir des Journalisten Tuukkanen. Er war ein unermüdlicher und stets hoch motivierter Kollege, dem nichts Menschliches fremd war. Besonderes Interesse fand er an den Merkwürdigkeiten des Lebens.
Der Blitzschlag hatte nicht nur Huikka Tuukkanen, sondern auch das Denkmal für Präsident Kyösti Kallio zerstört. Er war von oben bis unten gespalten. Der Schaden wurde erst zwanzig Jahre später entdeckt, aber da hatte es schon keine Bedeutung mehr, denn an derselben Stelle stand bereits eine andere, doppelt so große Skulptur. Sie stellte Rutja Ronkainen dar, den Sohn des Donnergottes.
18
Rutja Ronkainen las im Katechismus. Er stellte fest, daß die christliche Lehre weitgehend auf den zehn Geboten beruhte, die Gott einst einem gewissen Moses gegeben hatte, damit der sie an das Volk Israel weitervermittelte.
Nachdem er sich mit Steuerprüferin Suvaskorpi, Notar Mälkynen und Werbeleiter Keltajuuri beraten hatte, beschloß Rutja, auch ein Verzeichnis der Gebote Ukko Obergotts zu erstellen, die das finnische Volk in Zukunft befolgen sollte.
»In dieser Liste des Christengotts gibt es viele vollkommen überholte Gebote«, murmelte Rutja beim Durchsehen des Katechismus. »Zum Beispiel dieses fünfte Gebot, das brauchen wir überhaupt nicht. Im Gegenteil, Ägräs ist der Meinung, daß es Geschlechtsbeziehungen jeglicher Art geben muß, es kommt nicht so darauf an, was es für welche sind.«
Schließlich formulierte Rutja sechs Gebote. Sie lauteten:
1. Du sollst stets daran denken, Ukko zu fürchten.
2. Du sollst nicht schlecht zu den Kleinen sein.
3. Du sollst das Leben bewahren.
4. Du sollst die alten Menschen ehren.
5. Du sollst dich anständig benehmen.
6. Du sollst nie locker lassen.
Werbeleiter Keltajuuri nahm den handgeschriebenen Zettel in seine Obhut. Er ließ davon zweihundert kleine, stilvolle Blättchen drucken, die mit Kalevala-Ornamenten verziert waren. Jedem Jünger übergab er einen Stapel der Gebote von Ukko Obergott. Eines der Gebotsblättchen ließ er als Plakat vergrößern. Das wurde im Salon des Antiquitätengeschäfts aufgehängt, hinter den Opferofen.
»Macht euch diese Gebote für euer ganzes Leben zu eigen«, ermunterte der Sohn des Donnergottes seine Jünger. »Sollte ich jetzt vielleicht auch noch anfangen, Wunder zu vollbringen, so wie Jesus seinerzeit?«
Notar Mälkynen sagte, bloß mit Geboten wäre es tatsächlich nicht getan. Zusätzlich brauchte man großartige Wunder, sonst glaubten die Leute Rutja nicht.
»Ich meine, könntest du nicht versuchen, zum Beispiel ein paar
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