Der Sohn des Donnergottes
Kranke zu heilen, so wie Jesus seinerzeit? Das kam gut an. Wenn ich mich recht erinnere, hat Jesus Tausende von Menschen mit zwei Brotkanten und ein paar Fischen gefüttert. Irgendwas in der Art solltest du auch unternehmen. Die Menschheit will Wunder.«
Suvaskorpi und Keltajuuri lehnten den Brot-und-Fisch-Gedanken als veraltet ab. Ihrer Auffassung nach trüge eine Brotverteilung nicht zur Verbreitung des neualten Glaubens bei, dafür war der Lebensstandard der Finnen einfach zu hoch. Da müßte man schon Geld verteilen, Aktien oder kleine Geschenke. Ein paar Kilo gut abgehangenes Rindfleisch würde eine Familie schon erfreuen, ein Kasten Bier wäre nach dem Geschmack der Junggesellen, eine Kinokarte etwas für den Familiennachwuchs und einen schöne Zigarre für den Großvater geeignet. Brot und Fisch auszuteilen schien dagegen doch ein ziemlich fragwürdiges Unterfangen zu sein.
»Gewiß, wenn man unbedingt Brot und Fisch unter die Leute bringen will, dann ist das schon möglich, aber in diesem Fall müßte es dann mürbes Stangenweißbrot und Graves Lachs mit Dill sein«, fügte Werbeleiter Keltajuuri hinzu. »Lachs ist allerdings jetzt im Hochsommer nur schwer zu bekommen«, stellte er fest.
Rutja dachte über das Heilen von Kranken nach. Wie stand es heutzutage um die Volksgesundheit in Finnland? Erkrankten die Leute immer noch an Tuberkulose, so wie früher? Traten noch Fälle von Skorbut auf?
Frau Suvaskorpi erklärte, die genannten Krankheiten seien bereits besiegt. Die Finnen litten heutzutage mehr an Herzkrankheiten. Die waren allerdings von einer Qualität, daß Rutja besser nicht versuchte, sie mit Blitzschlägen zu heilen. Im Gegenteil, die Blitzbehandlung könnte einen Herzkranken möglicherweise auf der Stelle umbringen.
»Ich glaube, euch Finnen geht es zu gut«, meinte Rutja mit Bedauern. »Allmählich habe ich das Gefühl, es wäre günstiger, für ein anderes, ärmeres Volk als Gott tätig zu sein. Was braucht ihr noch Götter, euch ist doch schon genug Gnade erteilt worden.«
Notar Mälkynen hatte eine Idee.
»Aber wir haben doch eine enorme Anzahl Verrückter in diesem Land! Soweit ich weiß, wird die Hälfte aller Krankenbetten belegt von Geisteskranken.«
Das stimmte. Die eigentliche finnische Volkskrankheit war der Wahnsinn. Es gab Dutzende verschiedener Einrichtungen im Land, in denen man versuchte, den Unglücklichen zu helfen. Viele Patienten waren bis zu ihrem Lebensende in Krankenhäusern eingesperrt, denn der Anteil an chronischen Fällen war enorm hoch. In den Kliniken herrschte ein großer Mangel an Pflegekräften und Ärzten. Außerdem waren die Einrichtungen häufig düster und altmodisch.
Rutja mußte wieder an die Bibel denken. »Diese Geisteskranken sind offensichtlich wie die ›Besessenen‹, von denen die Bibel spricht?«
»So ist es«, bestätigten die Jünger. »Wir Finnen sind ein Volk von Besessenen. Obwohl es uns, allgemein betrachtet, gutgeht, haben wir trotzdem ständig die Neigung, unter irgendeiner Gemütskrankheit zu leiden.«
»Wir Finnen sind auch ausgesprochen eifrig, wenn es darum geht, Selbstmord zu begehen. Zusammen mit den Ungarn führen wir die internationale Selbstmordstatistik an. Daß die Ungarn so anfällig sind, erklärt sich daraus, daß sie mit uns verwandt sind«, erläuterte Werbeleiter Keltajuuri.
Rutja freute sich. Er war vollkommen davon überzeugt, durch seine Blitztherapie den Gemütskranken in ihrer Beklemmung wenigstens bis zu einem gewissen Grad Erleichterung verschaffen zu können. Zumindest die Hypochonder glaubte Rutja, gesund machen zu können. Und die Hysteriker würden auch keine Schwierigkeiten bereiten.
Aber das Erledigen solcher Wundertaten mußte unter abgeschirmten Umständen vollzogen werden, damit keine der Sache abträglichen Gerüchte über seine Heiltätigkeit in Umlauf gerieten. Vielleicht wäre es außerdem nicht schlecht, sich mit einem Psychiater oder einem Psychologen zu beraten, bevor man die Wunderheilungen in Angriff nahm?
Rutja spann den Gedanken weiter. Wie wäre es, wenn man in Pentele eine private Heilanstalt für Geisteskranke gründete? Zu diesem Zweck könnte man die Gebäude auf dem Ronkaila-Hof instand setzen. Für den Anfang würde ein Arzt genügen. Er selbst übernähme die Schockbehandlung. Rutja offenbarte den Jüngern seine Idee. Sie waren von dem Plan völlig begeistert. Notar Mälkynen fiel sofort ein, er könne mit einem Psychiater, der ein Bekannter von ihm war, Kontakt aufnehmen. Der
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