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Der Sohn des Donnergottes

Der Sohn des Donnergottes

Titel: Der Sohn des Donnergottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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nächtlichen Ausflug in die finnische Hauptstadt Helsinki mitkommen. Der Provinzgnom fand das Angebot so interessant, daß er es riskieren wollte, dem Sohn des Donnergottes die Autoschlüssel zu stehlen.
    »Klimpere aber nicht mit ihnen herum, damit Rutja nicht aufwacht«, ermahnte Sampsa den Erdgeist. Der grinste pfiffig und trippelte davon. Wenig später kehrte er zurück und schwenkte die Schlüssel an seinen pelzigen Fingern. Zu zweit fuhren sie nach Helsinki.
    In der Stadt machte Sampsa mit dem Erdgeist erstmals eine Besichtigungsrundfahrt. Der Gnom betrachtete interessiert die nächtliche Großstadt, fragte zwischendurch nach einem Gebäude oder wie viele Leute in diesem oder jenem Haus wohnten. Wie sahen die Kellerräume in den Backsteinhäusern aus? War es möglich, von den Kellern der Mietshäuser direkt in die Abflüsse und das Kanalisationsnetz zu gelangen? Und wo war eine U-Bahn-Station? Könnte man da nicht einmal ein bißchen herumstöbern? Warum, zum Teufel, interessierte sich Sampsa so wenig für U-Bahn-Schächte?
    Sampsa wollte dem Gnom sein Antiquitätengeschäft zeigen, aber dann fiel ihm ein, daß er die Schlüssel gar nicht bei sich hatte. Dann kam ihm die Idee, der alleinerziehenden Moisander Guten Tag zu sagen. Das wäre ein Ding, sich dem grantigen Weib in seiner neuen Daseinsform zu präsentieren! Was würde sie sagen, wenn sie Sampsa in der Gestalt des Sohns des Donnergottes vor sich sähe? Wie gefiele ihr wohl der behaarte Gnom, der wie ein kleines, teuflisches Gespenst zwischen den Beinen seines Herrn herumwuselte? Sampsa konnte nicht widerstehen, er mußte zu Frau Moisander fahren.
    Er parkte den Lieferwagen vor ihrem Haus und drückte auf die Klingel an der Haustür. Nach langem Warten ertönte der Summer. Frau Moisander war also zu Hause. Sampsa nahm den Aufzug, aber der Erdgeist rannte flink die Treppe hinauf. Auf jedem Stockwerk wartete er auf Sampsas Lift, und wenn der Aufzug kam, flitzte der Gnom in die nächste Etage. Im sechsten Stock wartete er schon vor Moisanders Tür, als der Aufzug klappernd den Sohn des Donnergottes an Ort und Stelle brachte.
    Der Erdgeist drückte auf den Klingelknopf. Als Frau Moisander schlaftrunken die Tür öffnete, schlüpfte er rasch hinein. Sampsa kam im Bärenfell hinterher.
    Hatte es Frau Moisander einst gegraut, als Rutja von seiner Göttlichkeit sprach, so war das gar nichts gegen den Schock, den ihr dieser nächtliche Besuch versetzte. Sie kreischte laut auf und wollte die Tür wieder zuschlagen, aber da sowohl der Erdgeist als auch Sampsa schon in der Wohnung waren, flüchtete sie sich auf die Toilette.
    »Wir wollten nur mal Guten Tag sagen«, erklärte Sampsa mit der Stimme des Sohns des Donnergottes.
    Mehr konnte Sampsa gar nicht sagen, denn schon stürzte die arme Frau aus der Toilette, riß ihre Popelinjacke vom Haken und verschwand im Treppenhaus. Nicht einmal Schuhe hatte sie angezogen, so eilig hatte sie es, aus ihrer Wohnung zu entkommen. Frau Moisander rannte ohne ein Ziel durch die menschenleere Stadt.
    Sampsa und der Gnom setzten sich auf Frau Moisanders Sofa und überlegten, was sie tun sollten. Sie hatten sich einen groben Spaß erlaubt und einen Menschen so erschreckt, daß er aus seiner eigenen Wohnung geflohen war. Das war unangenehm und nicht das, was sich Sampsa vorgestellt hatte.
    Da es keinen Grund gab, den Besuch in die Länge zu ziehen, gingen sie wieder. Sie stiegen in den Lieferwagen, denn der Tag brach bereits an. Götter trieben sich tagsüber nicht in der Stadt herum, das wußte jeder. Auch Gnome aus der Provinz waren im Gewimmel von Helsinki nicht allzu häufig anzutreffen.
    Nachdem sie sich vom schlimmsten Schrecken erholt hatte, stellte Frau Moisander fest, daß sie schon anderthalb Kilometer von ihrer Wohnung entfernt war. Sie war schneller als die Straßenbahn gewesen. Die Zehen taten ihr weh, denn sie war es nicht gewohnt, barfuß durch die Stadt zu rennen. Ein rotlackierter Fußnagel war eingerissen. Die rote Farbe war auf traurige Weise abgeblättert, und der Zeh schmerzte gnadenlos. Frau Moisander betrachtete ihn verzweifelt. Nun würde sie wohl ewig offene Riemchenschuhe tragen müssen.
    Ihr wurde klar, daß sie für den Rest der Nacht irgendwo unterkommen mußte. Aber wo? Nach Hause konnte sie nicht zurück, denn dort warteten vielleicht die zwei Ungeheuer. Oh! In ein Hotel konnte sie auch nicht gehen, da sie nicht einmal Schuhe anhatte und unter ihrer Jacke nur ein Nachthemd trug. Und die Polizeiwache?

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