Der Sohn des Donnergottes
Was würden die Ordnungshüter denken, wenn sie ihnen erklärte, in ihrer Wohnung hielten sich ein pelziges Kerlchen von der Größe eines Hundes und eine mindestens zwei Meter große, schreckliche Bestie mit schwarzem Fell auf? Sie würden sie verhören und allerlei dumme Fragen stellen. Sie würden sie bitten, die Jacke abzulegen, um sie an die Garderobe zu hängen… nein, unmöglich!
Und wenn sie behauptete, mißhandelt worden zu sein? Frau Moisander wußte, daß sie aussah, als sei ihr übel mitgespielt worden. Sie freute sich über ihren Einfall, aber dann fiel ihr die ärztliche Untersuchung ein, die einer Vergewaltigungsanzeige folgen würde. Der scharfe Blick der Gynäkologin würde in Frau Moisanders streng gehüteter Vagina kein einziges lüsternes und gewalttätiges Spermium entdecken können. Verflixt! Warum hatte sie sich am Abend zuvor nicht diesem Bekannten hingegeben, der am Telefon etwas Entsprechendes vorgeschlagen hatte? Dann hätte es jetzt wenigstens Spuren der Notzucht gegeben.
Letztendlich beschloß Frau Moisander, die Nacht im Antiquitätenladen zu verbringen, für den sie immerhin noch einen Schlüssel hatte. Falls Sampsa im Hinterzimmer schlafen sollte, würde sie sich auf das gustavinische Sofa im Salon legen. Hauptsache, daß sie in diesem Zustand niemand sah. Barfuß humpelte sie also in die Iso Roobertinkatu.
Ihr Erstaunen war groß, als sie sah, daß die Ladentür eingeschlagen worden war. In der Diele sah sie einen schweren Pflasterstein auf dem Boden liegen. Sie nahm ihn in die Hand und stellte fest, daß ihn der Einbrecher benutzt haben mußte, um die Scheibe einzuschlagen.
In jener Nacht hatten die Polizeistreifen im Zentrum von Helsinki den Auftrag erhalten, zu überprüfen, ob in die Antiquitätengeschäfte der Stadt eingebrochen worden war, und was in deren Umgebung überhaupt so vor sich ging. Die Besatzung einer Streife, die durch die Ratakatu fuhr, beschloß, in die Iso Roobertinkatu einzubiegen, wo sich Ronkainens Antiquitätenhandlung befand. Das war natürlich nicht besonders sinnvoll, aber letztlich war die Arbeit der Polizei prinzipiell von A bis Z sinnlos. Wurde ein Verbrechen aufgeklärt, geschahen gleichzeitig irgendwo anders zwei noch schlimmere. So ging das immer weiter, und die Sinnlosigkeit wurde immer größer. Das einzig Stabile und Dauerhafte im Leben eines Polizisten waren die hintersinnigen Polizistenwitze und die ordinären Flachsereien.
In Ronkainens Antiquitätengeschäft jedoch ertappte man eine Kriminelle auf frischer Tat. Einen etwa fünfunddreißigjährige Frau hielt einen Pflasterstein in der Hand, mit dem sie offensichtlich kurz zuvor die Ladentür eingeschlagen hatte, mit der Absicht, in das Geschäft einzudringen. Die Frau war in wüster Verfassung und wehrte sich heftig gegen die Festnahme. Auf dem Revier wurde festgestellt, daß sie keine Schuhe anhatte und auch sonst nur in eine dünne Sommerjacke und ein Nachthemd gehüllt war, gerade so, als sei sie direkt aus dem Bett zum Ort des Verbrechens gefahren, ohne sich die Zeit genommen zu haben, sich ordentlich anzuziehen.
Die Verdächtige trat bei der ersten Vernehmung hysterisch und drohend auf. Sie behauptete, das betreffende Antiquitätengeschäft im Grunde so gut wie zu besitzen. Sie leugnete, eine männliche Person namens Rami zu kennen. Die Verdächtige kratzte dem diensthabenden Wachtmeister die linke Wange blutig, und als sie in Gewahrsam genommen wurde, gelang es ihr, den das Verhör führende Kriminalbeamten in den Hals zu beißen, so daß ein roter, blutunterlaufener Zahnabdruck mit einer geschätzten Länge von 3,5 cm zurückblieb. Aufgenommen um 04 . 16 Uhr.
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Am Dienstag wurde mit der Befreiung unglücklicher Hysteriker aus den Klauen der bösen Geister begonnen. Die Methode war einfach: Zuerst unterhielt sich Psychiater Onni Osmola mit dem Patienten und machte sich einige Notizen; in dieser Phase beobachtete Rutja aber schon, was zwischen Arzt und Patient vor sich ging. Sah es so aus, als seien die Probleme zu umfassend oder aber zu tiefgehend, um von einem Arzt gelöst zu werden, griff Rutja in die Behandlung ein. Er führte den Patienten in einen separaten Behandlungsraum, der zu diesem Zweck an einem Ende des neuen Gebäudes abgetrennt worden war. Der Raum war klein und hatte keine Fenster, nur eine kleine Luke als Eingang für Kugelblitze. Das Mobiliar bestand aus zwei Stühlen, einer für den Patienten und einer für den Sohn des Donnergottes.
Die Behandlung war
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