Der Sohn des Kreuzfahrers
hatte den Namen bereits ein- oder zweimal gehört, dennoch hatte er nicht die geringste Ahnung, wo die Stadt wohl liegen mochte; für ihn stellte eine Fahrt dorthin lediglich eine unnötige Verzögerung dar. »Warum sollten sie dorthin fahren? Das ergibt keinen Sinn. Die Nachricht muß falsch sein.«
»Das ergibt durchaus einen Sinn«, widersprach ihm Ronan freundlich. »Antiochia ist eine große Stadt mit hervorragenden Verteidigungsanlagen. Jedes Heer, das über Land marschiert, muß erst an Antiochia vorbei, wenn es nach Jerusalem will. Tatsächlich haben die genuesischen Kaufleute, welche die Pilger mit Proviant versorgt haben, berichtet, das Kreuzfahrerheer liege just in diesem Augenblick vor den Mauern der Stadt.«
»Antiochia ist näher als Jerusalem«, bemerkte Fionn. »Ohne Zweifel werden wir dort auch König Magnus finden.«
Sie segelten weiter, und die Tage wurden immer länger. Die dunkelblaue See war voller kleiner und großer Fische, und das Wasser wurde zunehmend wärmer und die Inseln kleiner und zahlreicher. Auf Murdo, der die flachen grünen Inseln von Orkneyjar gewöhnt war, wirkten die Eilande des Mittelmeers wie riesige, scharfkantige
Felsbrocken, an die sich nur hier und da verzweifelt ein paar Dor-nenbüsche klammerten. So war es auch nicht verwunderlich, daß er die trockenen Inseln mit ihren kleinen weißen Städten, die sich an die Hänge der wenigen grünen Hügel schmiegten, als wenig einladend empfand. Ihm erschien die Landschaft als geradezu unglaublich dürr, und die von Staub erfüllten Städte wirkten auf ihn verschlafen; er konnte sich nicht vorstellen, daß hier jemals etwas Bedeutendes geschehen war oder geschehen würde. Im Gegensatz zu den Mönchen, die es genossen, durch die winzigen, fliegenverseuchten Städte zu wandern und sich auf griechisch mit den Einwohnern zu unterhalten, betrachtete Murdo jede Sekunde, die sie an Land verbrachten, als verschwendet. Er konnte es kaum erwarten, nach Antiochia zu seinem Vater zu kommen.
Einige Wochen später erfuhren sie von einem Fischer in Kandia auf der Insel Kreta - der es von einem anderen Fischer gehört hatte und der wiederum von einem Olivenhändler -, daß die Schiffe der Nordmänner tatsächlich in diesen Gewässern gesichtet worden waren. Zwar war der Mann nicht sicher, aber er glaubte, die Flotte sei nach Zypern gesegelt.
Auf dem Weg dorthin hörten sie noch mehrere solcher Geschichten, und in Kyrenaia auf Zypern wurden die Berichte bestätigt. »Man sagt, vor zwei oder drei Wochen seien hier Langschiffe vorbeigekommen«, sagte Ronan. »Einer der Händler hat mir berichtet, er habe gehört, Nordmänner hätten einige Meilen von hier Proviant aufgenommen - in einem Ort mit Namen Korykos.«
Jon Reißzahn nickte. »Vor drei Wochen«, murmelte er nachdenklich, blickte in den wolkenlosen Himmel und strich sich über den Bart. »Dann werden sie sich wohl der Belagerung angeschlossen haben.«
»Das glaube ich auch«, stimmte ihm der Kirchenmann zu. »Der Kaufmann hat gesagt, Antiochia läge nur drei Tagesreisen von hier entfernt - vier, wenn der Wind schlecht ist.«
Als Murdo dies hörte, schlug sein Herz schneller. In drei oder vier Tagen würde er bei seinem Vater sein!
Dem Ziel so nahe! ... Murdo konnte sich kaum beherrschen, als
Jon Reißzahn und Ronan den Kai hinunterwanderten, um den Kapitän des Kauffahrers nach dem kürzesten Weg nach Antiochia zu fragen. Nach einem längeren Gespräch kehrten sie wieder zurück, und Jon rief schon von weitem seinen Männern Befehle zu, die es sich auf der Mole bequem gemacht hatten. Um so rasch wie möglich wieder aufs Meer hinauszukommen, eilte Murdo hierhin und dorthin, half bei den Tauen, bereitete das Segel vor und legte die Ruder ein. In der Zwischenzeit ging Ronan in die Stadt, um seine Brüder vom Markt zu holen.
Rasch war die Skidbladnir abfahrbereit, und Murdo hatte sich schon freiwillig gemeldet, die Mönche suchen zu gehen, als die drei Kirchenmänner, beladen mit Weinschläuchen, Ziegenkäse und Oliven, am Kai erschienen und, so schnell es ihre Last erlaubte, herbeieilten. Nachdem alles verstaut war, nahm Murdo ein Ruder und half dabei, das Langschiff von der Mole abzustoßen; dann hockte er sich auf die Ruderbank und ruderte, als wolle er ganz alleine das Schiff aus dem Hafen bringen. Als sie schließlich die anderen Schiffe hinter sich gelassen hatten, gab Jon Reißzahn den Befehl zum Segelsetzen, und auch dabei ging Murdo den Seeleuten zur Hand.
Es dauerte eine
Weitere Kostenlose Bücher