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Der Sohn des Kreuzfahrers

Titel: Der Sohn des Kreuzfahrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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Tränen flossen seine Wangen hinab. Er schnappte nach Luft und versuchte, sich der Flut des Leids entgegenzustemmen, aber sie riß ihn mit sich fort, und er war machtlos dagegen. Sein Körper begann zu zittern, und er wurde von lautem Schluchzen geschüttelt, das tief aus seiner Kehle kam, als stamme es aus der schwarzen Grube seiner Seele selbst. Wellen von Trauer und Scham brachen über ihn herein, und er war nicht mehr als ein Stück Holz, das von jeder einzelnen dieser Wellen immer wieder unter Wasser gedrückt wurde. Er weinte und weinte und weinte, bis der Schlaf ihm wieder die Gnade des Vergessens gewährte.
    Es war spät am nächsten Tag, als Murdo wieder erwachte und durch die Blätter des Olivenbaums in einen flachsfarbenen Himmel blickte. Er gähnte und fragte sich, wie lange er wohl geschlafen hatte. Einen Tag? Zwei? Er besaß eine vage Erinnerung daran, von Zeit zu Zeit geweckt worden zu sein, wenn ihm jemand gesüßtes Wasser eingeflößt hatte, doch er hatte kein Gefühl mehr, wieviel Zeit seit seiner Ankunft hier vergangen war. Während er darüber nachdachte, wurde er sich eines seltsamen Geräuschs bewußt, und er erkannte, daß es das gewesen war, was ihn geweckt hatte: ein dröhnendes, unablässiges Krächzen über seinem Kopf.
    Als er den Blick gen Himmel richtete, erkannte er, daß das Krächzen von einer riesigen wirbelnden schwarzen Wolke über dem Tal stammte: Tausende und Abertausende von Krähen und Raben, und über ihnen kreisten Geier und Adler.
    Voller Staunen betrachtete Murdo die sich endlos windende, kreischende Masse. Er folgte ihrem Flug hinab zu einem großen Hügel neben der Straße: Man hatte die Leichen der Opfer der Pilger vor der Nordmauer zu einem riesigen Berg aufgeschichtet. Vor lauter Aasfressern schien der Berg förmlich zu leben.
    Murdo wandte sich von dem Anblick ab und setzte sich auf - und zuckte unwillkürlich zusammen ob des stechenden Schmerzes in seiner verbrannten Haut. Er berührte seine Brust, und seine Finger waren sofort verklebt. Als er sich umschaute, bemerkte er, daß er auf einer Grasmatte lag - nackt mit Ausnahme einer dünnen Leinendecke. Sein Gürtel und sein Messer lagen neben ihm, zusammen mit Emlyns Umhang, den man sorgfältig gefaltet hatte, und einer Kalebasse mit Wasser, die er sofort ergriff und leerte.
    Sein Rücken und seine Schultern fühlten sich an, als wäre er von wilden Pferden durch glühende Kohlen geschleppt worden. Ein nagender Schmerz plagte ihn im Bauch, und seine Augen und Lippen pochten. Aber erst als er versuchte aufzustehen, wurde er sich des höllischen Schmerzes in seinen Füßen bewußt. Wimmernd ließ er sich wieder zurückfallen. Seine Fußsohlen waren förmlich zerfetzt.
    Er stöhnte, kniff ob des Schmerzes die Augen zusammen und atmete schnell und flach. Das weckte Emlyn, der hinter ihm auf der anderen Seite des Olivenbaums geschlafen hatte. »Murdo!« rief er und rollte sich auf die Knie. »Du bist wieder zu uns zurückgekehrt! Wie fühlst du dich?«
    Bevor Murdo antworten konnte, fragte der Priester: »Hast du Hunger? Es gibt Brot und Suppe. Ich werde dir etwas holen.« Er rannte davon, bevor Murdo auch nur daran denken konnte, ihn davon abzuhalten.
    Da er sich wegen der Schmerzen nicht wieder hinlegen konnte, stützte sich Murdo auf die Ellbogen und schaute zur Stadt hinüber. Die Schatten der Hügel erstreckten sich bereits über das ganze Tal, und die Hitze des Tages ließ allmählich nach. Murdo sah Männer und Karren auf den Straßen außerhalb der Mauer. Obwohl ihm nur allzu gut im Gedächtnis geblieben war, was er in Jerusalem gesehen hatte, so konnte er sich doch nicht daran erinnern, was geschehen war, nachdem er die Stadt verlassen hatte oder wie er in diesen Olivenhain gekommen war.
    Darüber dachte er nach, bis Emlyn eine Weile später mit zwei Fladenbroten unter dem Arm und einer großen Holzschüssel in der Hand wieder zurückkehrte. »Die Pilger hier haben monatelang gehungert«, sagte er, »aber nun, da die Stadt befreit ist, gibt es jede Menge Nahrung.«
    Ja, dachte Murdo. Und ich weiß auch warum: Die Toten essen wenig.
    Der Mönch half Murdo, sich aufzusetzen und stellte ihm die Schüssel in den Schoß. Dann riß er ein Stück Brot ab und tunkte es in die Brühe. »Ronan und Fionn waren heute eine Weile hier. Sie haben mir geholfen, eine Salbe für deine Verbrennungen und Schnittwunden zuzubereiten.«
    »Wo sind meine Kleider?« fragte Murdo mit einer Stimme, die so trocken und rauh klang wie der

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