Der Sohn des Kreuzfahrers
sog die glitzernden Gegenstände förmlich in sich auf: Becher und Pokale, Teller und Platten, Armreifen und Ringe, kleine, mit Juwelen besetzte Schmuckkästchen und Kelche, Halsketten,
Diademe und noch vieles mehr, alles aus reinstem Gold und Silber. Dazwischen lagen überall Goldmünzen und Plaketten mit dem Bild des griechischen Kaisers. Letztere waren überdies mit feurigen Rubinen, glühenden Smaragden und strahlend weißen Perlen verziert. Murdo konnte der Versuchung nicht widerstehen. Er griff in den Haufen und zog einen Dolch mit goldenem Heft heraus, dessen Scheide mit Saphiren besetzt war - die Scheide allein war wertvoller als alles, was er je in seinem Leben berührt hatte.
Murdo hielt das Messer in Händen, als wäre es die zerbrechliche Seele seines Vaters, die man ihm jeden Augenblick entreißen konnte. Er hielt den Atem an und versuchte, sich vorzustellen, was ein solch unermeßlicher Reichtum bedeutete: Sicherlich war dieser Schatz weit mehr wert als alles, was Jarl Erlend je besessen hatte, und ohne Zweifel würde sogar manch ein König des Nordens in seinem ganzen Leben kein solches Vermögen anhäufen können; vermutlich war das, was in diesem Zelt lag, sogar wertvoller als alles, was König Magnus sein eigen nannte - einschließlich seiner Schiffe und Ländereien.
»Gehört das wirklich alles uns?« fragte Murdo schließlich, dem es noch immer schwerfiel zu begreifen, wie reich seine Familie mit einem Mal geworden war.
Ranulf hatte die Augen geschlossen und atmete schnell und rasselnd. Er deutete auf seinen Mund. Murdo griff nach dem Wasserschlauch und hielt ihn seinem Vater erneut an die Lippen. Der Herr von Hrafnbu trank nur einen einzigen kleinen Schluck, bevor er den Schlauch wieder von sich schob. »Noch vor Nikaia hatten wir beschlossen, daß alle Edlen den gleichen Anteil an der Beute erhalten sollten, um sie unter den Männern zu verteilen, wie sie es für angebracht hielten. Alle waren damit einverstanden. Niemand wußte, daß es so viel werden würde. Nikaia. Dorylaion. Antio-chia.« Er hustete. »Was du hier siehst, ist der Anteil, den ich für mich behalten habe. Nimm ihn, mein Sohn«, keuchte Ranulf. »Verwende ihn zum Wohle Hrafnbus.«
Bei dem Wort überkamen Murdo Gewissensbisse. Ihm fehlte der
Mut, seinem Vater zu berichten, daß man ihnen Hrafnbu gestohlen hatte.
Einen Augenblick später öffnete Ranulf wieder die Augen und richtete sich auf. »Torf und Skuli. Sie haben sich Balduin in Edessa angeschlossen. Sie waren nicht hier, als die Schlacht begonnen hat, aber du wirst sie finden können.«
Murdo nickte. »Ich werde sie finden, Vater, und wir werden nach Dyrness zurückkehren.«
»Gut.« Ranulf schloß die Augen wieder und ließ sich auf die Matte zurückfallen. »Ich will mich ausruhen.«
»Ich werde bleiben.«
»Nein, mein Sohn. Es ist besser, du gehst.« Er hob die Hand, und Murdo ergriff sie mit beiden Händen. »Erinnere dich meiner Worte.«
»Ich werde sie nicht vergessen.« Murdo legte den Wasserschlauch unmittelbar neben seinen Vater, so daß dieser ihn sich jederzeit nehmen konnte; dann humpelte er unter Schmerzen zum Zeltausgang. »Ich bin draußen, falls du irgend etwas brauchst.«
Herrn Ranulfs Mund verzog sich zu einem geisterhaften Lächeln. »Ich bin froh, daß du gekommen bist, mein Sohn.«
Murdo nickte und schlug die Zeltklappe beiseite. Sofort trat Em-lyn neben ihn, um ihn zu stützen. Ronan und Fionn, die in der Nähe saßen, standen auf und gingen ebenfalls zu ihm. »Er will jetzt etwas schlafen«, berichtete Murdo den Mönchen. »Ich habe ihm gesagt, ich würde in der Nähe bleiben.«
Die Priester halfen ihm, sich in den Schatten des Zeltes zu setzen. Dann ging Fionn davon, um eine Grasmatte zu holen, nachdem er Ronan gebeten hatte, für alle etwas zu essen und zu trinken zu besorgen. Emlyn setzte sich neben Murdo. Ob der Qualen seines jungen Freundes waren seine Augen voller Sorge und Mitgefühl.
Schweigend saßen sie beieinander, bis sie Schritte hörten. »Das wird Fionn sein«, sagte Emlyn und stand auf.
Doch es war nicht Fionn, sondern eine Frau. Als sie Murdo be-merkte, blieb sie abrupt stehen; dann entdeckte sie Emlyn und sagte: »Ah, Ihr seid es, Bruder. Es tut mir leid, daß es so lange gedauert hat.« Sie zog eine kleine Tonflasche aus der Tasche, die sie über der Schulter trug. »Ich habe ihm noch etwas von dem Trank gebracht.«
»Er schläft gerade«, berichtete ihr der Mönch. »Dies hier ist sein Sohn«, sagte er und
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