Der Sohn des Kreuzfahrers
deutete auf Murdo.
Die Frau blickte kurz zu Murdo und nickte knapp. »Dann werde ich den Trank nur neben ihn stellen, damit er ihn sich nehmen kann, wenn er wieder erwacht.« Sie öffnete die Zeltklappe und ging hinein.
»Genna kümmert sich um deinen Vater«, erklärte Emlyn und setzte sich wieder. »Ihr Gatte ist in Antiochia gefallen. Sie waren gemeinsam auf Pilgerfahrt und.« Er hielt inne, als Genna die Klappe öffnete.
»Ihr solltet besser einmal hereinkommen«, sagte sie schlicht.
Emlyn war sofort wieder auf den Beinen. Er trat zum Eingang und blickte hinein; dann senkte er den Kopf. Einen Augenblick später drehte er sich zu Murdo um.
Murdo konnte ihm vom Gesicht ablesen, was er als nächstes sagen würde. »Ist mein Vater tot?«
»Ja«, antwortete Emlyn. Er beugte sich vor, hob Murdo in die Höhe und half ihm ins Zelt.
In unveränderter Haltung lag Herr Ranulf auf seiner Pritsche; doch nun war sein Gesicht ruhig und entspannt, und sein Blick war der eines Mannes, der in einen friedlichen Himmel blickt. Seine Hände umklammerten noch immer den Wasserschlauch, nur daß dieser inzwischen leer war; er hatte ihn bis auf den letzten Tropfen geleert, und der schmerzstillende Trank hatte zum letztenmal seine Wirkung getan.
Lange Zeit stand Murdo einfach nur da und versuchte, Ordnung in den Sturm von Gefühlen zu bringen, der über ihn hereingebrochen war. Er fühlte sich verletzt und zugleich zornig und allein.
Emlyn trat an die Pritsche und schloß dem Herrn von Hrafnbü die Augen. Dann hielt er die Hand über den Leichnam und begann, leise zu singen. »Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden. Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.«
Murdo vernahm die Worte - er hatte sie schon unzählige Male gehört -, aber sie bedeuteten ihm nichts. Statt dessen bemerkte er, wie der Tod das Gesicht seines Vaters verändert und ihm das meiste von dem wiedergegeben hatte, was ihm von der tödlichen Wunde geraubt worden war. Seine Gesichtszüge, ausgemergelt und eingefallen durch Wochen des Hungers und die letzten Tage voller Schmerzen, hatten sich friedlich entspannt: Die Spannung um Augen und Mund hatte sich gelöst, und die Augenbrauen hatten sich ebenfalls wieder geglättet.
Genna nahm die Tonflasche und wandte sich ab. »Es tut mir leid«, sagte sie und ging eilig hinaus.
Einen Augenblick später erschienen Fionn und Ronan mit ernstem Gesicht. »Genna hat es uns bereits gesagt«, erklärte Ronan. Fi-onn trat zu Murdo und legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter. »Möge Gott dich segnen, mein Freund, und dir seine Gnade gewähren.«
»Brüder«, sagte Ronan, »laßt uns die Seele dieses Pilgers dem Herrn überantworten.«
Die drei stellten sich um die Pritsche herum auf: einer am Fußende, einer am Kopf und einer daneben. Dann hoben sie die Hände über den Leichnam und begannen, in einer Sprache zu singen, die Murdo unbekannt war. Er schaute zu und lauschte, denn er glaubte, seine Mutter würde jede Einzelheit wissen wollen - ohne Zweifel würde sie auch den Gesang erkennen.
Die Cele De wiederholten ihr Lied dreimal; dann legten sie Ra-nulfs Arme auf der Brust über Kreuz, streckten seine Glieder und begannen damit, seinen Körper für das Begräbnis vorzubereiten. Die Eile, mit der sie dabei vorgingen, beunruhigte Murdo. »Muß es wirklich schon so bald sein?«
»Wir wagen nicht, es noch länger hinauszuzögern«, antwortete Fi-onn und fügte hinzu: »Das liegt an der Hitze, weißt du?«
»Wir werden dafür sorgen, daß er ein ordentliches Begräbnis erhält«, versicherte ihm Ronan. »Emlyn wird bei dir bleiben, während Fionn und ich das Grab vorbereiten. Wenn wir fertig sind, kommen wir wieder, um den Leichnam zu holen.«
Emlyn setzte sich neben Murdo, und gemeinsam betrachteten sie den toten Herrn von Hrafnbü.
»Es war gut, daß du dich zumindest von ihm hast verabschieden können«, bemerkte der Mönch nach einer Weile. »Ich wünschte, wir hätten ihn früher gefunden.«
»Ihr habt ihn die ganze Zeit über gesucht?« wunderte sich Mur-do.
»O ja, das haben wir«, bestätigte Emlyn. »In den Lagern hat man uns gesagt, daß Herzog Gottfrieds Männer die ersten auf der Mauer gewesen seien und daß Herzog Robert mit seinen Männern an seiner Seite gefochten habe. Dort, sagten sie, hätten die heftigsten Kämpfe stattgefunden, und jene ersten auf der Mauer hätten die volle Wucht des
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