Der Sohn des Kreuzfahrers
ein gewaltiger Berg, der sich auf seiner Seele niedergelassen hatte.
Es dauerte nicht lange, und die beiden Wanderer erreichten die Stelle, wo sie vor zwei Nächten die Soldaten getroffen hatten.
»Stimmt es, was du diesen Männern in jener Nacht gesagt hast?« fragte Murdo und versuchte, so gleichgültig wie möglich zu klingen.
»Über das Dekret des Papstes betreffs der Absolution?« Emlyn blickte ihn von der Seite her an. »Nun«, seufzte er, »jedenfalls empfinde ich es so. Unsere lateinischen Brüder sehen es ohne Zweifel anders, aber die Soldaten gestern haben nicht gewußt, daß wir nicht denselben Orden angehören wie die anderen Pilgerpriester. Männer wie diese suchen selten geistigen Beistand. Die Schuldigen sind bestenfalls widerwillige Schafe.«
»Heißt das, daß du mit dem päpstlichen Dekret nicht einverstanden bist?«
»Du und ich, wir sind Freunde, also werde ich offen zu dir sein«, erwiderte Emlyn. Er hielt kurz inne und blickte in den Himmel;
als er wieder das Wort ergriff, klang seine Stimme vorwurfsvoll und verachtend. »Der Papst ist ein Narr, der glaubt, Sünde und Vergebung seien Waren, die man auf dem Marktplatz der menschlichen Seelen verschachern könne. Die Sünden, die hier begangen wurden, werden den Geist zerfressen wie alle anderen auch, und da sie nicht gebeichtet werden, werden sie die Herzen bis in alle Ewigkeit vergiften.«
Diese Worte erzeugten ein seltsames Gefühl in Murdo; er hörte die Wahrheit in ihnen, und er fühlte sich dazu gedrängt, seinen Anteil an den Schrecknissen jenes Tages zu bekennen. Vor seinem geistigen Auge sah er den rauchverhangenen Himmel, die begehrlichen Blicke der Kreuzfahrer und die verstümmelten Leichen in den Straßen. Er spürte, wie die Erinnerung an das, was er an diesem Tag gesehen hatte, ihn zu ersticken drohte, und er wußte, daß er diese Last nicht sein ganzes Leben lang auf den Schultern tragen wollte.
»Ich bin so schuldig wie alle anderen auch«, erklärte Murdo.
»Ja?« Emlyns Stimme klang sanft, doch eindringlich.
»Ich habe Unrecht getan«, sagte Murdo und beschrieb mit brechender Stimme das Blutbad und die Verwüstung, deren Zeuge er in der Heiligen Stadt geworden war: die verbrannten Tempel voller verkohlter Leichen, die Straßen voller Blut und verstümmelter Körper, das arme, ertränkte Kind, das wahnsinnige Abschlachten unschuldiger Menschen. Er berichtete seinem Freund, wie er auf die drei Pilger getroffen war, welche die Frau und ihre Kinder gejagt hatten, und wie sich die Kreuzfahrer gegen ihn gewandt hatten. »Sie hätten auch mich getötet, doch sie waren unvorsichtig, und ich war schneller. Ich habe den Anführer getötet, und die anderen sind davongerannt.« Dann beschrieb er, wie er dem toten Kreuzfahrer den Mantel abgenommen und sich selbst umgelegt hatte. »Ich hatte Angst«, beschloß er seinen Bericht. »Ich wollte nur so rasch wie möglich fort von dort. Ich schwöre dir bei meinem Leben: Ich wollte ihn nicht töten. Aber er hat mich angegriffen, und bevor ich mich versah, hatte der Speer ihn durchbohrt. In Wahrheit hätte ich es vermeiden können, ihn zu töten, doch es war mir egal. Er ist auf der Straße gestorben, und ich fürchtete, die anderen würden wieder zurückkehren. Ich nahm sein Kreuz, damit mich niemand mehr angreifen würde.«
»Ich verstehe«, erwiderte Emlyn nach kurzem Nachdenken. »Du hast nur getötet, um dich selbst zu schützen. Du hast aus Furcht gehandelt, weiter nichts. Hätte der Mann dir die Möglichkeit gegeben, dann hättest du dich womöglich anders verhalten, habe ich recht?«
Murdo nickte.
»Das ist nur eine kleine Sünde, wenn überhaupt«, erklärte der Priester. »Du hast nur so gehandelt, um dein eigenes Leben zu verteidigen. Das ist wohl kaum verdammenswert.«
»Es war mir egal!« betonte Murdo verzweifelt. »Hätte ich rascher gehandelt, wären die Frau und ihr Kind vielleicht noch am Leben. Ich stand jedoch einfach nur daneben und habe zugesehen. Ich hatte Angst!«
»Furcht ist die große Schwäche von Adams Rasse, soviel ist sicher«, entgegnete der Mönch. »Zwar stimmt es, daß Furcht uns manchmal zur Sünde treibt, doch sie ist keine Sünde an sich.«
»Ich habe genau gewußt, was ich tat«, konterte Murdo. »Deshalb habe ich auch das Kreuz des Pilgers an mich genommen. Diese Frau ist gestorben, als sie versucht hat, ihr Kind zu beschützen, doch als sich die Schwerter gegen mich richteten, wurde ich zum Feigling. Ich hätte in dem Versuch sterben müssen,
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