Der Sohn des Kreuzfahrers
entscheidend von der Rückgabe der Lanze abhing.
Der listige Fürst und Graf von Antiochia hatte beschlossen, diesen Preis mit Freuden zu zahlen, solange die Lanze ihnen nur Ale-xios' Hilfe sicherte, und um den größtmöglichen Nutzen aus diesem Geschenk zu ziehen, mußte sie Bohemund persönlich zurückgeben. Bereits als Magnus und er den Rat in der Grabeskirche verlassen hatten, hatte er begonnen, Intrigen zu schmieden, wie er Gottfried die Reliquie entreißen könnte.
In dem Augenblick, da Fürst Bohemund erfahren hatte, Gottfrieds Männer hätten Jerusalem verlassen, hatte er seine Spione losgeschickt; und nachdem diese herausgefunden hatten, daß Gottfried die Lanze dem Papst zur Aufbewahrung übergeben wollte, hatte er sich sofort mit seinen besten Rittern an die Verfolgung gemacht. Aber natürlich hatte er nicht damit gerechnet, eine ganze Nacht lang gegen die Türken kämpfen zu müssen, und noch viel weniger mit Murdos Einmischung. Und hätten die Torleute nicht alle von dem Jüngling erzählt, der die heilige Lanze gestohlen hatte, hätte er sie vermutlich nie gefunden. Das Leben in den Reichen des Ostens war wahrlich voller Überraschungen, und Bohemund hatte inzwischen gelernt, jede Gelegenheit zu nutzen, die sich ihm bot.
Er nahm die heilige Lanze in die Hand und wunderte sich über sein eigenes, geradezu unglaubliches Glück. »Gebt dem Drungarios tön poimön Bescheid«, sagte er zu Bayard. »Sagt dem Abgesandten, daß Graf Bohemund mit der Lanze Christi kommt und daß wir uns freuen würden, uns so rasch wie möglich mit ihm zu treffen, um ihm die heilige Reliquie zu übergeben.«
Bayard und zwei andere von Bohemunds Edelleuten machten sich daraufhin auf den Weg zum kaiserlichen Schiff.
In der Zwischenzeit hatte sich Murdo neben den ohnmächtigen Priester gekniet und begonnen, ihn sanft zu schütteln. Einen Augenblick später erwachte der Priester mit einem lauten Stöhnen und setzte sich auf. Als er Murdo erblickte, krallte er sich in dessen Ärmel. »Du hast Bohemund die Lanze gegeben!« keuchte er. »Wir müssen versuchen, sie wieder zurückzuholen. Es ist noch nicht zu spät. Wir müssen.«
Er versuchte aufzustehen. »Schschsch«, warnte ihn Murdo und
drückte ihn wieder herunter. »Beruhige dich.«
»Die Lanze!« zischte Emlyn. »Er will sie weggeben!«
»Alles wird wieder gut«, flüsterte Murdo und beugte sich vor. Er ergriff den Mönch am Arm und half ihm aufzustehen. »Hör mir jetzt zu. Wir haben nicht viel Zeit. Magnus ist hier, was bedeutet, daß auch Ronan und Fionn in der Nähe sein müssen. Je weniger sie darüber wissen, desto besser, glaube ich.«
Emlyn suchte in Murdos Gesicht nach einem Grund für die seltsamen Worte; doch als er keinen fand, schüttelte er traurig den Kopf. »Ich verstehe dich nicht. Vergangene Nacht hast du gesagt, du wolltest dem Wahren Weg folgen und die Lanze retten, und heute hast du sie einfach so weggegeben. Was hat dich nur so verändert, Mur-do?«
»Ich habe mich nicht verändert«, antwortete der junge Mann. »Wir müssen das einfach nur durchstehen.«
In diesem Augenblick hob Bohemund, der mit König Magnus an der Reling stand, die heilige Lanze über den Kopf und rief mit lauter Stimme den Menschen auf der Mole zu: »Macht Platz! Macht Platz, meine Freunde, für den Abgesandten des Kaisers. Er kommt, diese heilige Reliquie in seinen Schutz zu übernehmen.« Die Seeleute und Kreuzfahrer in der Nähe blickten zu dem im Sonnenlicht schimmernden weißen Seidenstoff empor; dann sahen sie den kaiserlichen Abgesandten, der sich ihnen festen Schrittes näherte, und wichen zurück, denn sie wußten nicht, was als nächstes geschehen würde.
Bohemund streckte versöhnlich die Hand aus. »Gesellt Euch zu mir, Drungarios!« rief er. »Laßt uns zusammenstehen und vor den Anwesenden hier unsere Freundschaft bekunden.«
Während der Drungarios tön poimön durch die Menge hindurch zum Drachenboot schritt, hielt Bohemund eine Rede für die Zuschauer: Er sprach von den Leiden der Kreuzfahrer und ihrem großen Erfolg, die Heilige Stadt für alle Zeit für die Christenheit erobert zu haben. Er sprach von Gottes großem Plan für sein Volk und von der Oberhoheit des Kaisers als alleinigem Stellvertreter des
Allmächtigen auf Erden. Dann mahnte er die Anwesenden, es sei gut, wenn sie sich der Leiden all jener erinnern würden, die auf der Pilgerfahrt gefallen seien, und wie der Herr selbst ihr Unterfangen gesegnet habe, indem er ihnen die heilige Lanze als
Weitere Kostenlose Bücher