Der Sohn des Kreuzfahrers
Als der Frühling die Herrschaft über das Land übernahm, dachte Murdo immer häufiger darüber nach, Herrn Brusis Anwesen einen Besuch abzustatten, um zu erfahren, wie es Frau Ragnhild und ihrer Tochter in Abwesenheit des Herrn erging. Doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte keine Entschuldigung finden, nach Hrolfsey zu gehen. Von einer Insel zur nächsten zu segeln war zwar kein schwieriges Unterfangen; dennoch tat es niemand leichtfertig - es war kein Ausflug. Murdos Mutter würde davon unterrichtet werden müssen, und er wußte nicht, wie er ihr sein plötzliches Interesse an Hrolfsey erklären sollte.
Statt dessen beschloß er, dafür zu sorgen, daß er und seine Mutter an den Osterfeierlichkeiten in der Kathedrale teilnahmen - natürlich hoffte er, Frau Ragnhild würde dasselbe tun. Es dauerte mehrere Tage, bevor er den Mut aufbrachte, daß Thema mit seiner Mutter zu besprechen, und noch einige weitere, bis sich die Gelegenheit ergab, es beiläufig zu erwähnen, ohne daß seine Mutter Verdacht schöpfen konnte.
Diese Gelegenheit kam eines Nachts, als er und Frau Niamh nach dem Abendessen vor dem Kamin saßen. Murdos Mutter flickte ein Wams, und er selbst schärfte ein Messer an einem Lederband, als Niamh plötzlich sagte: »Wir werden bald mit dem Fasten beginnen.«
»Ist Ostern schon so nah?« fragte Murdo und heuchelte Überraschung. »Das muß es wohl sein. Durch all das Pflügen und Säen hätte ich es beinahe vergessen.«
Diese mit unschuldigem Ernst vorgebrachte Bemerkung bewegte seine Mutter dazu, von ihrer Arbeit aufzublicken und ihn neugierig zu mustern. Murdo fuhr fort, das Messer übers Leder zu ziehen. Natürlich wußte er, daß sie ihn beobachtete, doch nach außen hin täuschte er weiter Unschuld vor. Nach einer Weile widmete sich Frau Niamh wieder dem Nähen. »Wir müssen auch mit den Vorbereitungen für Ostern beginnen«, sagte sie.
»Sind wir letztes Jahr nicht in die Kathedrale gegangen?« fragte Murdo. »Ich hab's vergessen.«
»O Murdo, natürlich sind wir das«, antwortete seine Mutter leicht verärgert. »Du hast es vergessen, weil du es als unnötig erachtest, dich daran zu erinnern. Du hast so wenig für die Kirche übrig, daß es mich wundert, daß du überhaupt hingehst.«
Ich würde auch nicht gehen, dachte Murdo, wenn man mich nicht ewig dazu drängen würde. In angemessen reumütigem Tonfall gestand er: »Ich denke tatsächlich nicht häufig an die Kirche, das stimmt. Aber das Fest zu Sankt Johann habe ich wirklich genossen, und ich würde mich freuen, wenn wir Ostern zum Hochamt in die Kathedrale gehen würden - wenn es das ist, was du wünschst.«
Oh, das war gut. Es war ihm gelungen, seinen Plan so aussehen zu lassen, als würde er das alles nur tun, um seiner Mutter zu Gefallen zu sein. Murdo lobte sich selbst für seine Schlauheit und seine hervorragende Vorstellung.
Seine Freude war jedoch nur von kurzer Dauer, denn seine Mutter legte die Näharbeit beiseite und starrte ihn an, als wisse sie nicht, ob es sich wirklich um ihren Sohn handelte, der hier neben ihr saß, oder um irgendeinen gerissenen Betrüger. »Wie es das Schicksal will«, sagte sie, »habe ich bereits andere Pläne gemacht. Wir werden Ostern woanders verbringen.«
Murdo verließ der Mut. Trotz all seiner ach so klugen Pläne würde er nun doch nicht in die Kathedrale gehen. Verzweifelt sagte er: »Aber die Kathedrale bietet zu Ostern einen besonders prächtigen Anblick - denk doch nur an all das Gold und den Schmuck. Können wir nicht zumindest an der Messe teilnehmen, bevor wir irgendwo anders hingehen? Es gefällt mir dort so gut.«
Frau Niamh runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Manchmal verblüffst du mich wirklich. Ich hatte ja keine Ahnung, daß du in dieser Sache so starke Gefühle hegst.« Sie hielt kurz inne und dachte darüber nach. Dann sagte sie: »Ehrlich, ich wünschte, du hättest mir früher etwas davon gesagt. Frau Ragnhild hat uns eingeladen, das Fest auf Hrolfsey zu verbringen, und ich habe die Einladung angenommen. Ich weiß nicht, wie ich ihr beibringen soll, daß wir doch nicht kommen. Sie werden schon Vorbereitungen für unseren Besuch getroffen haben.« Erneut legte sie eine Pause ein. »Aber wenn du wirklich so entschlossen bist, dann könnten wir vielleicht.«
»Frau Ragnhild - die Gemahlin von Herrn Brusi...«, unterbrach sie Murdo rasch.
»Ja, eben die. Und wenn du mir jetzt erklärst, du könntest dich auch nicht mehr an sie erinnern, dann schlage ich
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