Der Sohn des Kreuzfahrers
dich mit dem Nadelkissen windelweich.«
»Ich erinnere mich noch sehr gut an sie«, erwiderte Murdo wahrheitsgemäß. »Aber ich kann mich nicht daran erinnern, in letzter Zeit einen Boten auf dem Hof gesehen zu haben.«
»Einen Boten? Was meinst du damit? Es hat nie einen Boten ge-geben.«
»Aber wie.?«
Seine Mutter betrachtete ihn verärgert und schnalzte mit der Zunge. »Ragnhild hat uns persönlich auf dem Fest des heiligen Johannes des Täufers eingeladen. Sie wußte, daß wir allein sein würden - so wie sie auch -, denn die Männer sind ja noch immer auf ihrer Pilgerfahrt. Ich habe ihr gesagt, es wäre uns eine Ehre und Freude, die heiligen Tage mit ihr und ihrer Tochter zu verbringen.«
Murdo setzte eine gelassene Miene auf. »Nun, ich bin niemand, der andere vor den Kopf stößt. In Anbetracht der Tatsache, daß Frau Ragnhild bereits Vorbereitungen für unseren Besuch getroffen haben wird, wäre es nicht schicklich, eine Einladung abzusagen, die wir bereits angenommen haben. Ich fürchte, wir werden das Beste daraus machen müssen.« Um zu zeigen, daß er zwar nicht erfreut darüber, aber stets bereit war, sein eigenes Glück für das anderer hintanzustellen, seufzte er laut auf.
»Die Dinge, die du da sagst.«, begann Frau Niamh und schüttelte langsam den Kopf. »Man könnte fast glauben, du führst etwas im Schilde.«
»Ich wünsche nur, dir eine Freude zu machen, Mutter«, erwiderte Murdo und versuchte, verletzt und würdevoll zugleich zu klingen. »Ist das etwa falsch?«
Frau Niamh blickte ihn mißtrauisch an, dann griff sie wieder nach ihrer Näharbeit. Auch Murdo widmete sich wieder seiner Arbeit und hoffte, daß seine Mutter seinen vorgetäuschten Plan vergessen würde, die Messe in Kirkjuvagr zu besuchen, denn das war nun der letzte Ort, an dem er Ostern verbringen wollte.
»Dann ist die Angelegenheit also erledigt«, erklärte seine Mutter nach einer Weile. »Wir werden wie geplant nach Cnoc Carrach gehen.« Sie hielt kurz inne und dachte über den baldigen Besuch nach. »Es wird mir guttun, wieder ein paar Tage mit Ragnhild zu verbringen. Es ist schon lange her, seit wir zum letztenmal längere Zeit zusammen waren.«
Da er das Gefühl hatte, schon mehr als genug gesagt zu haben, hielt Murdo klugerweise den Mund, als würde er den endgültigen Entschluß seiner Mutter zwar widerwillig, aber gehorsam akzeptieren. In dieser Nacht lag er auf seinem Bett und stellte sich vor, was er Ragna sagen würde, wenn er ihr wieder begegnete. Er fragte sich, ob irgendein Geschenk bei der Gelegenheit angebracht sei. Er beschloß, später über diese Frage nachzudenken und schlief ein. Er träumte von Ragna, seiner Zuneigung und Großzügigkeit ihr gegenüber und wie angenehm überrascht sie davon war.
In den folgenden Tagen mußte Murdo all seine Schlauheit aufbieten, um Gleichgültigkeit gegenüber dem bevorstehenden Besuch vorzutäuschen. Zur Ablenkung machte er sich nützlich, indem er Peder half, das Boot vorzubereiten. Nach einem Winter am Ufer gab es immer eine Menge zu tun, um das Fahrzeug wieder seetüchtig zu machen. Der alte Seemann war sehr streng, was die verschiedenen Dinge betraf, die erledigt werden mußten. Peder hatte Pech besorgt, das er mit Wolle mischte, um damit die Risse und Spalten zu stopfen, die während der kalten Monate entstanden waren. Danach mußte der Rumpf mit Bimsstein abgerieben und eine frische Schicht Pech aufgetragen werden. Außerdem hatte Peder während der langen Wintermonate Hanfseile geknüpft; diese wurden nun gestreckt, getränkt und wieder, gestreckt, bis gute, feste Segelleinen daraus geworden waren - eine anstrengende Arbeit, doch Peder wurde niemals müde zu erklären, daß das Leben eines Seemanns an der Qualität jedes einzelnen Taus hänge.
Abgesehen vom Geruch des heißen Pechs machte Murdo die Arbeit nichts aus. Er zog das Segeln der Landwirtschaft ohnehin vor, und Peders fortwährendes Reden lenkte ihn von dem erregenden Gedanken ab, daß er Ragna schon bald wiedersehen würde. Die Erwartung quälte ihn wie ein brennender Mückenstich, und er konnte den Tag kaum noch erwarten. Nach und nach hatte das Osterfest für Murdo an Bedeutung gewonnen, und er fürchtete, nicht mehr lang genug unter den Lebenden zu weilen, um es noch zu erleben. Der unvergleichliche Tag hing über ihm wie das Schicksal selbst, und kurz überlegte er sogar, zu Gott zu beten, er möge ihm die Gunst gewähren, die liebliche Ragna nur noch ein einziges Mal zu sehen. Wenn ich sie
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