Der Sohn des Kreuzfahrers
warum überhaupt je jemand dieses Land verläßt.«
»Oh, genau darin liegt unser Leid begründet«, antwortete der Mönch und schüttelte traurig den Kopf. »Denn die Kymren - so sie auch von unserem göttlichen Wohltäter mit den reichsten Gaben bedacht worden sind - leben auch in der ständigen Furcht, die Menschen anderer Gefilde könnten aus Neid über sie herfallen und ihnen das Herz ihres Glücks herausreißen. Daher hat der Herr sie mit dem unwiderstehlichen taithchwant ausgestattet, auf daß sie vor lauter Freude über ihre herrliche Heimat nicht zu stolz werden.«
Emlyn sprach mit solch tief empfundener Sehnsucht, daß Mur-do zutiefst berührt war. »Was ist dieses ta...taith...?«
»Taithchwant«, wiederholte der Mönch. »Oh, es ist weniger ein Leiden, als vielmehr eine unerträgliche Last. Es ist eine Art Wanderlust, doch stärker noch als jedes Sehnen gewöhnlicher Sterblicher. Es ist eine nagende Ungewißheit, die einen Mann über die Grenzen des Paradieses hinaustreibt, um zu sehen, was sich hinter dem nächsten Hügel verbirgt; um zu entdecken, wo der Fluß endet oder wohin die Straße führt. Sicherlich gibt es kein stärkeres Gefühl, und nur eines läßt sich damit vergleichen.«
»Und was ist das?« fragte Murdo, der immer mehr von der Aufrichtigkeit des Mönches eingenommen war.
»Das ist das hiraeth«, antwortete der Mönch, »das Heimweh, das schmerzhafte Verlangen nach den grünen Hügeln unserer Heimat, eine unvergleichliche Sehnsucht nach dem Klang vertrauter Stimmen; ein gieriger Hunger, der nur von Speisen befriedigt werden kann, die auf dem Herd der Mutter zubereitet worden sind. Ach, das hi-raeth ist ein quälendes Sehnen, so stark, daß es einem Mann die Tränen in die Augen treibt und ihn alles andere vergessen läßt - einschließlich des Lebens selbst.«
Er seufzte. »Verstehst du mich jetzt? Wir sind für immer gefangen zwischen den zwei stärksten Gefühlen, die ein Mensch empfinden kann, und so kommt es, daß wir niemals lange an einem Ort glücklich sein können.«
Murdo bestätigte, daß dies in der Tat ein großes Unglück sei, woraufhin der Mönch lächelte und sagte: »Gott ist gut. Er hat uns zu seinen Abgesandten berufen und uns mit allem Notwendigen ausgestattet, um sein reines, strahlendes Licht in eine Welt voller Dunkelheit zu tragen. Wir sind die Cele De«, verkündete er stolz, »Diener des himmlischen Hochkönigs, der uns seine Gnade geschenkt hat.« Emlyn beugte sich zu Murdo hinab, als wolle er ihm ein Geheimnis anvertrauen; dementsprechend senkte er auch die Stimme. »Höre meine Worte: Wir sind die Hüter des Heiligen Lichts und die Wächter des Wahren Weges.«
W aimund von Saint-Gilles, Graf von Toulouse und der Provento V ce, traf einen Tag vor dem geplanten Aufbruch von Bohemunds Armee in Konstantinopel ein.
Nach der Überwinterung in Rom, wo sich ihm der päpstliche Legat, der Bischof von Le Puy, angeschlossen hatte, hatte der Graf das adriatische Meer überquert und war mit seinem Heer nahe Dyrr-hachion gelandet. Dann, angetrieben von dem ungeduldigen byzantinischen Statthalter, hatten Graf und Bischof den langen, unbequemen Marsch über die Berge Makedoniens in Angriff genommen.
Die Reise war angenehm ereignislos verlaufen; nur gelegentlich hatte die Disziplin der Männer ein wenig zu wünschen übriggelassen. Meist hatte es sich dabei um unglückliche Mißverständnisse gehandelt, die in der Plünderung und Zerstörung einiger byzantinischer Städte geendet hatten, und einmal war Bischof Adhemar kurzfristig von den Petschenegen festgesetzt worden, die der Kaiser geschickt hatte, um das Heer zu seinem Ziel zu geleiten. Nichtsdestotrotz waren die Kämpfer zwar erschöpft, aber guter Dinge und begierig darauf, die Wunder Konstantinopels zu sehen.
Als sie die Hauptstadt erreichten, trafen die Neuankömmlinge auf die Armeen Bohemunds und Tankreds, die vor der Westmauer ihr Lager aufgeschlagen hatten: eine gewaltige Zeltstadt erstreckte sich wie ein bunter Flickenteppich über die gesamte westliche Ebene. Die ersten Reihen der ungeordnet hausenden Heerschar erblickten die sich nähernden Kameraden und eilten voll ausgelassener Freude auf sie zu. Unfähig, Ritter und Fußvolk im Zaum zu halten, gestatteten ihnen die Fürsten, sich zu ihren Mitpilgern zu gesellen, damit sie gemeinsam den erfolgreichen Abschluß des ersten Teils der Pilgerfahrt feiern konnten.
Nachdem sie ihre Diener angewiesen hatten, die fürstlichen Zelte aufzuschlagen und das
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