Der Sohn des Kreuzfahrers
derart düstere Stimmung, daß er jegliches Interesse daran verlor, in die Stadt zu gehen. Sofort nachdem das Schiff am Ufer angelegt hatte, huschten die Mönche in Richtung Markt davon, um die benötigten Vorräte zu besorgen. Jon, der ebenfalls keine Lust verspürte, die Siedlung zu besuchen, gestattete seinen Männern an Land zu gehen und sich ein wenig zu vergnügen. »Ich werde hierbleiben und aufs Schiff aufpassen«, sagte er ihnen. »Geht nur ohne mich, aber versucht, euch nicht allzu sehr zu betrinken.« Dann wandte er sich an Murdo und riet ihm: »Du solltest auch gehen. Wir werden für lange Zeit keinen vertrauten Ort mehr sehen oder anständiges Bier bekommen.«
»Ich habe den letzten vertrauten Ort schon lange hinter mir gelassen«, erklärte Murdo. »Und da ich auch keine Lust habe, hier ein Bier zu trinken, werde ich bei Euch bleiben.«
Jon zuckte mit den Schultern und begann eine gründliche Überprüfung seines Schiffes. Vom Bug bis zum Heck suchte er das Fahrzeug ab und hielt Ausschau nach allem, was auf einen Schaden hindeuten könnte. Da er am Rumpf nichts Auffälliges entdeckte, wandte er sich dem Mast und der Takelage zu.
Währenddessen kletterte Murdo über die Reling und watete ans Ufer. Der Strand war breit und flach, und die Siedlung lag ein gutes Stück vom Ufer entfernt im Schutze hoch aufragender weißer Klippen.
Eine Weile wanderte Murdo durch den Sand, während Jon Reißzahn die Außenseite der Skidbladnir auf Schwachstellen untersuchte. Dann und wann holte der große Nordmann tief Luft und tauchte am Rumpf des Schiffes hinunter, um die Planken auch unter der Wasserlinie auf Schäden zu überprüfen; meist jedoch erschien er nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder an der Oberfläche.
Murdo setzte sich auf einen kleinen Felsen, von wo aus er Jon beobachten konnte, dessen Vorsichtsmaßnahmen er durchaus zu würdigen wußte. Rasch hatte er die seemännischen Fähigkeiten des Nordmanns und seiner Mannschaft schätzen gelernt. Die Männer arbeiteten gut zusammen; nur selten kam es zu Meinungsverschiedenheiten. Jeder schien im voraus zu ahnen, was der andere von ihm erwartete, und so hatte Jon nur selten Grund, Befehle zu erteilen oder tadelnd die Stimme zu erheben. Murdo kannte sich gut genug in der Seefahrt aus, um zu wissen, daß sie bei weitem nicht so einfach war, wie es den Anschein hatte, wenn man Jon Reißzahn und seine Männer beobachtete. Er schloß daraus, daß Erfahrung der Grund für dieses hervorragende Zusammenspiel war; vermutlich segelte diese Mannschaft schon seit Jahren gemeinsam auf einem Schiff.
Der erste Abendstern erschien gerade am Himmel, als die Mönche und Seeleute wieder zurückkehrten. Sie wankten über den Strand und schleppten große Bierfässer, Getreidesäcke und noch manch anderen Packen heran, einschließlich einer ganzen geräucherten Schweinehälfte. Die Mönche hatten eine geradezu unglaubliche Menge an gewöhnlichen Nahrungsmitteln erworben - so viel sogar, daß Jon Reißzahn sich beschwerte, das Schiff würde bei all der Ladung viel zu tief im Wasser liegen und bei der ersten Welle untergehen.
Als Antwort darauf zuckten die Mönche jedoch lediglich mit den Schultern und erklärten, auf dem Markt habe es so viele Köstlichkeiten gegeben, daß sie einfach nicht hätten widerstehen können. Offenbar gehörte Selbstbeherrschung in den Augen dieser seltsamen Priester nicht zu den geistlichen Tugenden, sagte sich Murdo.
Aber wie auch immer: Die Vorräte wurden rasch verstaut, und nach einem trüben, langweiligen Tag am Ufer brannte Murdo darauf, das Segel wieder im Wind und den Drachenbug durch die Wellen pflügen zu sehen. Doch Jon Reißzahn steuerte auf eine gemütliche kleine Bucht nicht weit von der Siedlung zu, wo er für die Nacht Anker warf. »Hiernach werden wir tagelang kein Land mehr sehen«, entgegnete er, nachdem Murdo seiner Enttäuschung Ausdruck verliehen hatte. »Heute nacht werden wir noch einmal auf fester Erde schlafen. Genieße es, solange du noch kannst.«
Die Mönche schienen überaus erfreut zu sein, eine Nacht an Land verbringen zu dürfen, und alsbald machten sie sich daran, ein Feuer zu entfachen und das Abendessen zuzubereiten. Trotz seines anfänglichen Ärgers über den Landaufenthalt empfand Murdo das warme Abendessen als willkommene Abwechslung. Hungrig schaute er zu, während die Kirchenmänner ihre Vorräte auspackten und sich an die Arbeit machten, wobei sie mit dem Geschick eines königlichen Leibkochs zu Werke
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