Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
Männern als zu Curru sprach. Er muss sich rechtfertigen, dachte er - seine Männer haben Zweifel.
»Ich glaube, dem Raik hat nicht gefallen, was in seiner Stadt vorgegangen ist, denn denk dir, Priester, wir haben ihn gesehen«, rief Curru.
Es wurde totenstill unter dem Torbogen. Numur erbleichte, und der Abeq trat erschrocken einen Schritt zurück. »Raik Utu? Scherze nicht über die Toten, Hakul!«
»Er war ein Spielball der Wellen, Akkesch. Auf jenem seltsamen Bach, der so plötzlich aus dem Nichts erschienen ist, trieb er an uns vorbei.«
Awin wusste, dass Curru richtig geraten hatte. Der verhüllte Leichnam konnte nur der Raik gewesen sein.
»Wo ist er jetzt?«, rief der Priester aufgeregt, und sein verbliebenes Auge war weit aufgerissen.
Curru grinste breit. »Er trieb hinunter zum Fluss. Vermutlich ist er längst auf dem Weg zu eurem Kaidhan im Süden, um zu berichten, was hier vor sich geht. Wirklich, ihr hättet ihn tiefer vergraben sollen«, spottete er.
»Zum Kaidhan«, flüsterte der Abeq heiser.
»Utu ist auferstanden!«, rief es plötzlich aus der Reihe der Speerträger.
»Er zürnt!«, rief ein anderer.
»Die Erde hat sich aufgetan, um uns zu verschlingen«, ein dritter. »Unsere Toten hält es nicht mehr in den Gräbern!« - »Es war der Frevel, der Frevel!« - »Numur hat sich gegen den gottgleichen Kaidhan gestellt.«
Die Unruhe nahm zu. Awin sah erstaunt, wie die Krieger der Akkesch ihre eben noch so beeindruckende waffenstarrende Ordnung aufgaben und aufgeregt miteinander stritten. Numur hatte vielleicht die Schlacht gegen diesen Immit Schaduk gewonnen, aber es sah aus, als könne er gleich seinen Kopf verlieren. Auch der Malk schien das zu spüren. Er schob sich langsam zurück zum Streitwagen, als wolle er fliehen.
»Ihr Narren«, übertönte die heisere Stimme des Abeq das Durcheinander. »Was redet ihr da? Hat der Raik etwa seine Hand gegen Malk Numur erhoben? Habt ihr etwa gesehen, dass er unsere Krieger angriff? Nein, nichts dergleichen! Der göttliche Utu kam aus dem Grab, als die Stadt in Not war. Er brachte uns Wasser, als unsere Häuser in Flammen standen. War es nicht so? Und mit ihm kamen unsere Ahnen, die sich aus den Gräbern erhoben und halfen, die Stadt zu retten. Ich habe es selbst gesehen!«
Awin war mehr als verblüfft. Dort stand ein Mann, der Zeichen weit besser zu seinen Gunsten umzudeuten verstand, als selbst Curru es vermochte. Und seine Krieger schienen ihm zu glauben. Eben noch hatte es ausgesehen, als würden sie sich gegen Numur erheben, aber nun waren sie vor Ehrfurcht verstummt.
»Ich sehe, dass ihr nun begreift«, fuhr der Priester fort, »doch solltet ihr noch wissen, dass Raik Utu sich nicht unerwartet aus dem Grab erhob - nein, Malk Numur, Herr dieser
Stadt, hat ihn gerufen. Ich habe es selbst gehört, Strydh ist mein Zeuge!«
Am überraschten Gesichtsausdruck des Malk konnte Awin erkennen, dass das eine glatte Lüge war, aber sie erfüllte ihren Zweck. Die Krieger sahen ihren Herrn plötzlich mit ganz anderen Augen. Awin schauderte es. Der Priester benutzte den Leichnam des Raik mit Eiseskälte für seine Zwecke. Hatte er keine Angst, dass die Götter ihn dafür strafen würden?
»Er sollte nicht leichtfertig über die Toten reden«, sagte eine kühle Stimme hinter Awin. Es war Merege. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie sich genähert hatte. Er fand aber keine Gelegenheit, ihr zu antworten, denn der Yaman gab Curru mit einem Nicken zu verstehen, dass er ihr Anliegen vortragen sollte. Der alte Seher kam dieser Aufforderung nur zu gerne nach. »Es ist gut zu wissen, dass Malk Numur die Toten auferstehen lassen kann. Vermag er das auch mit seinem so geliebten Bruder oder den Söhnen unseres Yamans?«
»Das verstehst du nicht, Hakul«, entgegnete Mahas kalt, »denn du weißt nicht, dass unsere Raik von den Göttern abstammen und dass sie nach ihrem Tod Platz finden an der Tafel Uos, von wo aus sie über uns wachen und uns beschützen. Aber noch keiner unserer Ahngötter hat sich zurück ins Land der Lebenden begeben. Es ist ein Wunder. Kannst du nicht wenigstens das erkennen?«
»Ich kann nur sehen, dass hier viele Krieger gestorben sind und dass ein Mann unter euch war, der uns bestohlen und gute Männer hinterrücks ermordet hat.«
»Nun, Seher, wenn ihr Malk Iddin nicht am Fuße der Stadtmauer gefunden habt, dann nehme ich doch an, dass sich euer Feind in der Nacht davongestohlen hat. Geht und sucht ihn in einer anderen Stadt!«, giftete der
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